22. G·E·M Markendialog 2018
Marken-Beziehungen im Zeitalter der Technologie-Dominanz
15. Februar 2018
SEMINARIS CampusHotel Berlin
Zum 22. Mal führte die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens (G·E·M) ihre Frühjahrsveranstaltung durch - den G·E·M Markendialog. Das Thema des 22. G·E·M Markendialogs am 15. Februar 2018 im Science & Conference Center des SEMINARIS CampusHotel Berlin lautete:
Marken-Beziehungen im Zeitalter der Technologie-Dominanz
„Marken sind Beziehungs-Partner für Menschen“, schreibt Professor Dr. Christoph Burmann in der Einladung zum diesjährigen G·E·M Markendialog. Und Wolfgang K.A. Disch hat dem heutigen Tag den Satz vorangestellt: „Marken sind Beziehungen, ohne Beziehung keine Marke.“

Beziehung – dieses Wort wird uns den ganzen heutigen Tag beschäftigen, so Friedrich Neukirch, Präsident der G·E·M, in seiner Begrüßung. Vor allem wollen wir Antworten auf die Frage finden: Wie verändern neue Kommunikations-Technologien die Marken-Beziehungen?
Auf drei G·E·M Kuratoriumssitzungen des vergangenen Jahres haben wir uns intensiv mit dem Thema beschäftigt. Professor Burmann und Wolfgang Disch (im Hintergrund) haben aus den Diskussionen im G·E·M Kuratorium – verbunden mit ihrem Wissen und ihren Kontakten zu Menschen in Wissenschaft und Unternehmen – den G·E·M Markendialog 2018 werden lassen. Als kompetente Referenten aus Wissenschaft und Praxis haben sie für uns gewinnen können:
Für die Keynote-Speech „Über den Sinn von Beziehungen in der digitalen Welt“ den Berliner Philosophen Prof. Dr. Wilhelm Schmid.
Für den ersten Themenblock „Marken-Beziehungen im Zeitalter von Targeting und Programmatic Marketing“ Prof. Dr. Maik Eisenbeiß, Universität Bremen, und Frank Strauß, Vorstandsvorsitzender Deutsche Postbank.
Für den zweiten Themenblock „Neue Beziehungs-Partner: Influencer oder innovative Marken?“ PD Dr. Tino Meitz, Universität Jena, und Kim Spannagel, Band Director L’Oréal Deutschland.
Für den dritten Themenblock „Marken-Beziehungen in neuen Organisations- und Geschäftsmodellen“ Prof. Dr. Tim Oliver Brexendorf, WHU – Beisheim School of Management, und Dr. Carsten Keller, Vice President Direct-to-Consumer, Zalando.
Keynote:
Über den Sinn von Beziehungen in der digitalen Welt

Prof. Dr. Wilhelm Schmid, der bereits auf dem 18. G·E·M Markendialog 2014 mit seinen philosophischen Gedanken „Über den Verlust der Menschen an Sinnerfahrung“ seine Zuhörer begeisterte, stellte an den Beginn seiner aktuellen Betrachtungen „Über den Sinn von Beziehungen in der digitalen Welt“ seine Beobachtung: Es ist evident für Sie, was der Megatrend des 21. Jahrhunderts ist: Digitalisierung. Was Ihnen vielleicht noch nicht so vertraut ist, das ist, dass sich längst ein anderer Megatrend anbahnt: In genauer Reaktion auf das Fortschreiten der Digitalisierung kommt es zum Megatrend der Analogisierung. Es ist die Suche nach dem Persönlichen, die Wiederentdeckung der Natur, die neue Liebe zur Heimat.
Verschlafen Sie nicht diesen Megatrend, der den Megatrend der Digitalisierung nicht aufhebt, aber er kontrastiert ihn. Und das wird Auswirkungen auch auf Marken haben. Viele Menschen fühlen sich vergiftet von der Digitalisierung. Deswegen die Flucht in die Analogisierung. Und das ist eine gesunde Entwicklung, sie wird den Menschen guttun, diese Re-Analogisierung. Und die Wiederentdeckung der Bedeutung von realen, analogen Beziehungen wird ein Teil davon sein.
Fraglos können Beziehungen auch zu Marken eingegangen werden und gepflegt werden. Doch auch hier ist die Frage, welche Art von Beziehung zu einer Marke? Nach Professor Schmid gibt es positive und negative Beziehungen, insgesamt sieben, acht verschiedene Beziehungen.
Drei positive Beziehungen: Die Liebesbeziehung, die Beziehung der Freundschaft und die kooperative Beziehung. Drei negative Beziehungen: Die funktionale Beziehung, die feindselige Beziehung und die ausschließende Beziehung.
Prof. Schmid nannte als siebte Beziehung, die schon ständig mitgeklungen habe, aber eine eigene Beziehungsform geworden ist: die virtuelle Beziehung. Und er schloss mit einer achten Beziehung, die Grundlage aller Beziehungen sei: die Beziehung zu uns selbst.
Und zu all diesen Beziehungen gab der Philosoph Wilhelm Schmid auch seine Gedanken, wenn es um Marke und Beziehungen geht:
- Es ist hilfreich für die Markenführung, sich bei der Marken-Beziehung ein reales Gegenüber vorzustellen. Die Markenführer nennen das Persona, also nicht eine reale Person, sondern eine vorgestellte Person. Und sich vorzustellen: Was sagt die, was braucht die, was macht die? – um die Marke darauf antworten zu lassen.
- Oder: Es ist schon ein Gewinn, wenn die Marke einfach nur gemocht wird. Das ist nicht Liebe, das ist nicht Freundschaft, es wird einfach nur gemocht. Wenn damit auch eine geringere Markenbindung einhergeht.
- Und: Mit der Digitalisierung verstärkt sich die funktionale Beziehung. Das ist die große Gefahr. Eine Markenbindung auf der Basis bloßer Funktionalität, das ist Vielen heute zu wenig.
- Weiter: Es ist eine große Gefahr für Marken, wenn sie sich Feindschaft zuziehen. Und das auch noch anonym im Internet, dann ist es schwierig, dagegen noch aufzutreten.
- Auch eine Gefahr für Marken ist das Ausschließen. Wenn etwas Negatives im Netz ist, kriegen Sie das nicht mehr raus. Es kann allerdings bei Menschen aufgrund gemachter Erfahrungen auch gute Gründe für den Ausschluss einer Marke geben.
- Ferner die virtuellen Beziehungen: Influencer sind eine Möglichkeit, virtuelle Beziehungen anzubahnen und zu pflegen. Aber es wird auch Shops geben müssen, in denen Menschen direkt ansprechbar sind und der Übergang zu realen Beziehungen möglich ist.
- Schließlich die Beziehung zu uns selbst. Sie ist die Grundlage für die Liebe, Grundlage für die Freundschaft, Grundlage der kooperativen Beziehung und so weiter.
- Und als Warnung: Auch wenn es unter Marketinggesichtspunkten noch so interessant erscheint, Menschen zwingend an sich zu binden – nein, das ist ein Abhängigkeitsverhältnis, das der Marke irgendwann auf die Füße fällt. Das könnte die Beziehung zerbrechen.
Wie verändern sich Marke-Nachfrager-Beziehungen?

Das Thema „Marken-Beziehungen im Zeitalter der Technologie-Dominanz“ wurde – wie beim G·E·M Markendialog seit 1997 üblich – in drei Themenblocks gegliedert, zu denen jeweils ein Wissenschaftler und ein Vertreter aus der Unternehmenspraxis sprachen, um danach mit dem Auditorium zu diskutieren.
Die Moderation – von der Gewinnung der Referenten über die Führung durch die drei Themenblocks bis hin zur Erstellung der hier folgenden Berichte – lag in den Händen von Prof. Dr. Christoph Burmann, Universität Bremen.
Block I:
Marken-Beziehungen im Zeitalter von Targeting und Programmatic Marketing
Beziehungen zwischen Marken und ihren Nachfragern entstehen traditionellerweise durch persönliche Interaktionen, wenn auch teilweise medial vermittelt (durch Telefon, Email, WhatsApp Nachrichten etc.). Was passiert mit Marke-Nachfrager-Beziehungen, wenn auf einer Seite dieser Beziehungen immer mehr Maschinen bzw. Algorithmen zum Einsatz kommen und Beziehungs-Management automatisiert wird? Beim Management zwischenmenschlicher Beziehungen außerhalb von Marken wäre das vermutlich keine gute Idee.

Stellungnahme aus der Wissenschaft:
Prof. Dr. Maik Eisenbeiß, Professor für Marketing, Universität Bremen
Zu Beginn seiner Ausführungen verwies Maik Eisenbeiß auf die bereits seit mehreren Jahrzehnten sinkende Werbeelastizität klassischer Werbeausgaben. Während die Professoren Assmus, Farley und Lehmann in ihrer einflussreichen Studie 1984 noch eine Werbeelastizität von 0,41 feststellten (Umsatzänderung in % als Folge einer einprozentigen Erhöhung des Werbedrucks), zeigen Studien 30 Jahre später, dass sich die Werbeelastizität mehr als halbiert hat.
Eine Ursache dieser Entwicklung ist die Fragmentierung der Medien und Kommunikationskanäle. Marken haben heute immer größere Probleme, ihre Zielgruppen zu erreichen, weil sich diese auf sehr viel mehr Medien und Kommunikationskanäle verteilen als früher. Diese Entwicklung wird noch dadurch verschärft, dass immer mehr Konsumenten bei ihrer Produktsuche im Internet generische Begriffe verwenden statt gezielt nach Marken zu suchen. Eine Entwicklung, die auch durch das schnelle Vordringen digitaler Sprachassistenten (z.B. Alexa, Siri, Echo) verstärkt wird.
Vor diesem Hintergrund ging Professor Eisenbeiß auf die Frage ein, wie Marken heute im Zeitalter von Targeting und Programmatic Marketing ihre Zielgruppe erreichen können? Hier unterschied er zunächst drei wichtige Entwicklungsstufen von Targeting und Programmatic Marketing.

Die Kommunikationswirkung von Targeting und Programmatic Marketing bewertete Professor Eisenbeiß sehr zurückhaltend. Hierzu zeigte er zahlreiche Ausgestaltungsbeispiele aus der Praxis, die dem jeweiligen Adressaten nur selten einen konkreten Nutzen oder die Differenzierungsmerkmale einer Marke vermittelten. Sein Fazit: Nur diejenigen Marken werden von Targeting und Pragrammatic Marketing zukünftig profitieren, die neben technischen Kompetenzen auch über das notwendige Rüstzeug in moderner Markenführung verfügen.
Beispielhaft verdeutlichte Eisenbeiß seine Aussage am Markenvertrauen. Hierzu verglich er in einer umfassenden Studie das Targeting von solchen Marken, die als Folge moderner Markenführung über ein hohes Maß an Vertrauen verfügten mit Marken, denen nur in geringem Maß Vertrauen zugesprochen wird. In seiner Studie (zusammen mit seinem Kollegen Bleier) zeigte sich, das Targeting bei vertrauensvollen Marken z.B. die Klickrate um ca. 30 % erhöht, wohingegen Targeting die Clickrate um etwa 50 % reduziert, wenn Marken nur über ein geringes Vertrauen verfügen. Dem professionellen, Vertrauen schaffenden Beziehungs-Management von Marken kommt im Zeitalter von Targeting und Programmatic Marketing deswegen eine noch größere Bedeutung zu als früher.
Bericht aus der Praxis:
Frank Strauß, Vorstandsvorsitzender Deutsche Postbank AG

Frank Strauß ging in seinem Vortrag zunächst auf das Geschäftsmodell und die Positionierung der Postbank ein, die sich als vertrauensvolle Bank für das „Daily Banking“ in Deutschland positioniert. Als Folge dieser Positionierung, die sich klar von derjenigen der Deutschen Bank unterscheidet, die eine globale Führungsposition im „Advisory Banking“ anstrebt, ist die Postbank auf die umfassende Digitalisierung ihres gesamten Geschäftsmodells angewiesen.
Dies hat zur Folge, dass die Beziehungen der Kunden zur Postbank immer weniger durch persönliche Beziehungen zu einzelnen Mitarbeitern geprägt werden und immer mehr durch digitale Touch Points. Demzufolge muss auch der Vertrauensaufbau zukünftig stärker von der ganzheitlichen Führung der Marke geleistet werden und kann sich nicht nur auf die persönliche Kommunikation von Kundenberatern beschränken. Insoweit stimmte Herr Strauß der finalen Schlussfolgerung von Professor Eisenbeiß zu.

Auch aus diesem Grunde habe man sich im Konzern ganz bewusst für eine Zwei-Marken-Strategie entschieden. Dadurch können die beiden Marken Deutsche Bank und Postbank wesentlich präziser auf ihre unterschiedlichen Zielgruppen ausgerichtet werden. Damit sind sie besser in der Lage, vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Zielgruppen aufzubauen. In der späteren Diskussion betonte Herr Strauß dabei auch die große Bedeutung des Vertrauens im Bankgeschäft und unterstrich das hohe Vertrauensniveau, welches der Postbank entgegengebracht wird. Es ist das Fundament des Markenwertes der Postbank.
Trotz mittlerweile über 12 Millionen Postbank-Digitalkunden betonte Herr Strauß aber auch und insbesondere die hohe Bedeutung nicht-digitaler Touch Points für die Postbank. Hier hat die Postbank in ganz Deutschland über eine Millionen leibhaftiger Kundenkontakte am Tag zu gestalten. Hier sieht Herr Strauß einen sehr wirkungsvollen Hebel für die langfristig erfolgreiche Positionierung der Postbank, neben dem richtigen Produktportfolio, digitalisierter Prozesse und angepasster „skill-sets“ der Belegschaft.
Abschließend erläuterte Herr Strauß die enormen Herausforderungen, die von der Postbank im Zuge der Digitalisierung ihrer Prozesse zu leisten waren und noch zu leisten sind. Als ein Ergebnis könne heute eine Kreditanfrage fallabschließend in 15 Minuten bearbeitet werden.
Mit Blick auf die allseits diskutierte hohe Bedeutung von Daten und datengetriebener Modelle verdeutlichte Herr Strauß abschließend, dass eine überzogene Gläubigkeit in diesem Gebiet einer der Auslöser für die Weltfinanzkrise 2008 war. Insoweit ist es ihm wichtig, die persönliche Kontrolle über Daten und datengetriebene Modelle zu behalten, im Risikomanagement ebenso wie im Marketing einer Bank. Das gilt auch für das Programmatic Marketing. Nur so können auf Dauer Platzierungen der eigenen Banner in Kontexten, die der Marke schaden, vermieden werden.
Block II:
Neue Beziehungs-Partner: Influencer oder innovative Marken?
Viel wird in den letzten Jahren über Social Media Influencer geredet. Mancher Protagonist hält sie für unersetzbar, will man erfolgreich Marken führen. Das wirft Fragen auf: Wer sind diese Social Media Influencer, wie beeinflussen sie die Beziehungen von Marken zu ihren Nachfragern und braucht jede Marke heute tatsächlich solche Influencer? Ist es andererseits nicht auch erfolgversprechend, neue innovative Marken aufzubauen und dabei auf Social Media Influencer ganz bewusst zu verzichten?
Stellungnahme aus der Wissenschaft:
PD Dr. Tino Meitz, Institut für Kommunikationswissenschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena

In seinem Vortrag beschäftigte sich Privatdozent Dr. Tino Meitz ebenso ausführlich wie kritisch mit der Relevanz von Infuencern für die Kommunikation von Marken. Hierbei ging er zunächst auf zahlreiche Probleme mit der Verlässlichkeit von Daten rund um die Influencer ein. Beispielsweise stellte er die Frage, ob die von der vielzitierter Influencerin „Bibi“ publizierten Zahlen über ihre Anhängerschaft tatsächlich stimmen? Würde dies doch bedeuten, dass etwa jeder zweite Jugendliche in Deutschland ein Anhänger von Bibi sein müsste. Dies lässt an der Glaubwürdigkeit und Aussagekraft der Followerzahlen von Deutschlands größter Influencerin Zweifel aufkommen.
Darüber hinaus beschäftigte sich Dr. Meitz mit dem Einfluss der Art des sozialen Mediums (z.B. Blogs, Facebook, Online-Nachrichtenseite) auf die Wirkung der dort verbreiteten Inhalte. Hier zeigte sich, dass ein und dieselbe Botschaft, verbreitet über diese drei Kanäle, zu unterschiedlichen Wahrnehmungen und Bewertungen des Botschaftsinhaltes führte. In diesem Zusammenhang erzeugte die Platzierung der Botschaft auf Facebook jeweils die geringste Selbstrelevanz für den Nutzer und damit die geringste Kommunikationswirkung.

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen stellte Herr Dr. Meitz heraus, dass die Kommunikation von Influencern sehr stark symbol- und bildgeprägt ist und nur selten Text verwendet. Das zeigt sich nicht nur an den zahlreich verwendeten Emoticons vieler Follower und Influencer, sondern vor allem an der übergroßen Zahl an Selfies, als Foto oder Bewegtbild.
Darüber hinaus zeigte Dr. Meitz anhand zahlreicher einfacher Wirkungskennziffern von Influencern, das sich diese teilweise extrem und sehr kurzfristig verändern. Dieses erratische Verhalten deutet mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf Manipulationen vieler Key Performance Indikatoren (KPI) im Umfeld von Influencern hin, sei es durch gekaufte Likes, gekaufte Follower oder sogenannte „Social Bots“ (in den sozialen Medien aktive Roboter bzw. Algorithmen). Auch das professionell organisierte, gegenseitige Weiterempfehlen in großen Like-Netzwerken oder Follower-Netzwerken kann zu einer massiven Verzerrung von KPI‘s bei Influencern führen. Große Like- und Followerzahlen (mehr oder weniger manipuliert) führen bei den meisten Nutzern in den sozialen Medien dazu, diesen Influencern mehr Vertrauen zu schenken. So kann es schnell passieren, dass gerade die manipulativ am stärksten aufgeblähten Influencer den relativ größten Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung von Marken haben.
Hier kommt nun die primär visuelle Kommunikation vieler Influencer und ihrer Anhänger trendverstärkend ins Spiel, denn eine stark durch Emoticons geprägte Kommunikation ist durch „social bots“ sehr leicht imitierbar. Das Programmatic Advertising führt dann zu der Gefahr, größere Budgets automatisiert dort zu investieren, wo „social bots“ sich besonders rege gegenseitig „beeinflussen“.
Vor diesem Hintergrund empfahl Privatdozent Dr. Meitz allen Marken, sich zukünftig so professionell wie möglich mit der sog. Fraud Protection beim Influencer-Branding zu beschäftigen. Dass dies auch bei großen, globalen Marken wichtig ist, zeigte sich später in der Diskussion mit Kim Spannagel, die auf Nachfrage sagte, ihres Wissens nach würde bei L´Oréal und auch bei deren neuen Marke NYX bei Influencern keinerlei Fraud Protection durchführt.
Bericht aus der Praxis:
Kim Spannagel, Brand Director L´Oréal Deutschland GmbH

Kim Spannagel stellte die Markenführung der neuen professional Make-Up Marke NYX vor. Hierzu ging sie zunächst kurz auf den globalen Beauty-Markt ein und ordnete NYX in das Portfolio der übrigen Beauty-Marken der Consumer Product Division ein (L´Oréal, Maybelline, NYX). Die Marke NYX wurde von Anbeginn strikt von der restlichen L´Oréal Organisation getrennt und mit einer wesentlich flacheren Organisationsstruktur versehen.
Die Marke NYX richtet sich an die Zielgruppe der „Make-Up Junkies“ im Alter von deutlich unter 14 Jahren bis etwa 18 Jahren. Diese ist sehr digital-affin, shoppt statistisch mehr als 12 Mal im Jahr dekorative Kosmetik und ist extrem interessiert an der Entdeckung der neuesten Trends bei jedem Einkauf.
Die Marke NYX nutzt konsequent Influencer aus den verschiedenen sozialen Medien, um die Marke aufzubauen. Die Influencer werden segmentiert in große Influencer über 500.000 Follower, mittlere Influencer mit 100.000 bis 500.000 Followern und kleine „Longtale-Influencer“ mit deutlich weniger als 100.000 Influencern. Der vertrauensvolle Aufbau von Beziehungen zu Influencern erfolgt dabei grundsätzlich ohne Bezahlung und ohne eine Steuerung der Influencer durch NYX. Ganz im Gegenteil wird Influencern seitens NYX der größtmögliche Freiraum eingeräumt.
Vor dem Hintergrund des starken Wachstums und der großen wirtschaftlichen Erfolge von NYX stellte Frau Spannagle nachfolgend die acht wichtigsten Erfolgsfaktoren der Marke NYX vor.

Im ersten Schritt hat NYX vertrauensvolle Beziehungen zu den relevanten Influencern aufgebaut. Dazu wurde die Marke NYX auf den Messen der professionellen Make-Up Artists vorgestellt. Im zweiten Schritt wurden die für NYX wichtigen Influencer zu den großen Vlogger-Conventions eingeladen, um dort eine möglichst enge Beziehung zwischen professionellen Marke-Up Artist, Influencern und normalen Konsumenten aufzubauen.
Im dritten Schritt veranstaltete die Marke NYX nationale „Face-Awards“, bei denen sich Influencer mit ihren individuellen Make-Up Stylingideen bewerben konnten. Im vierten Schritt wurden dann zusammen mit den Influencern neue Make-Up Produkte entwickelt und zugleich die Influencer so eng wie möglich in die gesamte Produktentwicklung von NYX integriert. Im fünften Schritt wurden die NYX eigenen Stores genutzt, um dort “NYX Community Treffen“ zu veranstalten und auch dadurch die persönlichen Beziehungen zu Influencern weiter zu festigen. Als sechsten Erfolgsfaktor wies Frau Spannagel mit Nachdruck darauf hin, wie wichtig die Besetzung aller für das Beziehungs-Management mit Influencern wichtigen Positionen mit eigenen NYX-Mitarbeitern zu besetzen und hier nicht auf externe Dienstleister zurückzugreifen.
Der siebte Erfolgsfaktor von NYX war nach Aussage von Frau Spannagel das Angebot von einzigartigem Content über die entsprechenden Social Media Kanäle. Hierzu stellte Kim Spannagel einige Beispiele per Video dem Auditorium vor. Der achte und letzte Erfolgsfaktor ist schließlich die Einbindung der Handelspartner in den Markenauftritt von NYX. Dies geschah stufenweise, so dass NYX zunächst nur bei einzelnen Handelspartnern verfügbar war. Dort wurden dann auch Influencer in den Markenauftritt bei den Handelspartnern vor Ort einbezogen.
Abschließend zeigte Frau Spannagel in eindrucksvoller Art und Weise, wie es NYX gelungen ist, im Zeitraum von 2015 bis 2018 die Zahl der Follower auf Instagram von 2.000 auf 450.000 zu erhöhen und bei Facebook von 21.000 auf 168.000. Zeitgleich stieg das Suchvolumen auf Google zur Marke NYX ab 2016 stark an und übertrifft heute dasjenige anderer Konkurrenzmarken um ein Vielfaches.
Block III:
Marken-Beziehungen in neuen Organisations- und Geschäftsmodellen
Disruptive Technologien und das Vordringen von Social Media Influencern haben in den letzten Jahren zu einer Reihe von neuen Organisations- und Geschäftsmodellen geführt. Beispielhaft sei hier auf airbnb oder Uber verwiesen. Welche Auswirkungen haben diese neuen Organisations- und Geschäftsmodelle auf Marken-Beziehungen? In welcher Weise verändern sich Marken-Beziehungen in diesem neuen organisationalen Kontext? Werden Marken-Beziehungen hier weniger wichtig oder durch neue vertragliche Arrangements gar völlig ersetzt?
Stellungnahme aus der Wissenschaft:
Prof. Dr. Tim Oliver Brexendorf, WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar

Professor Brexendorf startete seinen Vortrag mit einer Analyse des neuesten Markenwert-Rankings von MillwardBrown aus dem Jahr 2017. Alle sieben Neueinsteiger in deren Top-Markenwertranking sind technologiebasierte Marken mit neuen Geschäftsmodellen. Deren Erfolg beruht vielfach auf sog. disruptiven Technologien, die in vielen Fällen zu sehr niedrigen Grenzkosten bei der Bedienung neuer Kunden führen. Als erstes Zwischenfazit zeigte Professor Brexendorf auf, dass in diesen neuen Geschäftsmodellen die Funktionen und Beziehungen von Marken zu Nachfragern im Vergleich zu klassischen Geschäftsmodellen ohne disruptive Technologien unverändert bleiben. Dies ist insoweit zunächst überraschend, weil der Markteintritt von Anbietern mit disruptiven Technologien und neuen Geschäftsmodellen oft zum Verschwinden etablierter Anbieter führt. Die verdrängten Marken der etablierten Anbieter haben es also offenkundig nicht verstanden, eine tragfähige Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen, weil sie die wirklich wichtigen und für das Kaufverhalten Ihrer Zielgruppe ausschlaggebenden Nutzen nicht erkannt oder diese nicht befriedigt haben. Genau dies jedoch sind und waren immer die Kernaufgaben guter Markenführung.
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen klassifizierte und analysierte Professor Brexendorf vier neue Geschäftsmodelltypen, die von den eingangs zitierten Technologiemarken genutzt werden.

Der erste vorgestellte Geschäftsmodelltyp des „Sharing“ stellt die Nutzung statt das Besitzen von Marken in den Mittelpunkt (vgl. z.B. airbnb, DriveNow). Im Geschäftsmodelltyp „Personalization“ geht es um kundenindividuelle Lösungen. Hier gewinnen vor allem E-Commerce Abonnement-Geschäftsmodelle an Bedeutung. Bei Letzteren differenzierte Professor Brexendorf auf Basis einer aktuellen Studie von McKinsey zwischen drei unterschiedlichen Zielsegmenten: Erstens Kunden, die primär an Zeitersparnis und Komfortgewinn interessiert sind (z.B. Nutzer des „Dollar Shave Clubs“).
Zweitens Nutzern, die sehr daran interessiert sind, laufend neue Produktideen von ihren Marken vorgeschlagen zu bekommen, insbesondere in Fashion-affinen Branchen (vgl. z.B. Marken wie Birchbox, Blue Apron, Stitch Fix). Drittens Nutzer, denen es in erster Linie um Zugang zu verknappten, VIP-ähnlichen Angeboten mit meist hoher Reputation geht (vgl. z.B. die Marken JustFab, Thrive Market).
Beim dritten Typus neuer Geschäftsmodelle handelt es sich um „On-Demand“ Geschäftsmodelle. Hier geht es primär um die Umgehung des Einzelhandels durch eine vollständige oder teilweise automatisierte Bestellaufgabe (z.B. Amazon“Dash-Button).
Im vierten neuen Geschäftsmodell geht es schließlich um serviceorientierte Geschäftsmodelle, die auf der Basis von Daten aus dem Internet-of-Things (IoT) dem Kunden neue Dienstleistungen anbieten (z.B. Tide Spin).
Vor dem Hintergrund dieser vier neuen Geschäftsmodell-Typen analysierte Professor Brexendorf deren Auswirkungen auf Markenbeziehungen. Übergreifend stellte er zunächst fest, dass die Unterscheidung zwischen Händlern und Herstellern zunehmend schwieriger wird und eine Entwicklung hin zu Marktplattformen im Internet zu beobachten sein (E-Marketplaces). Dies führt zu einer massiven Machtverschiebung von klassischen Händlern und Herstellern zu den monopolartig agierenden Plattformen, z.B. Amazon, Alibaba, Tencent oder die Fashion Plattform von Zalando.
Diese gesellschaftlich und gesamtwirtschaftlich höchst problematische Entwicklung könne die Beziehungen zu vielen anderen Marken untergraben und sie langfristig erodieren lassen. Diese Gefahr wird durch sprachgesteuerte digitale Einkaufsassistenten (im Sinne kundenindividueller Datensammelroboter) noch verstärkt (vgl. den Vortrag von Professor Eisenbeiß). Dies repräsentiere die wichtigste zukünftige Veränderung der Marke-Nachfrager-Beziehungen, auf die sich etablierte Marken einzustellen haben, so eindrücklich Professor Brexendorf.
Bericht aus der Praxis:
Dr. Carsten Keller, Vice President Direct-to-Consumer, Zalando SE

Dr. Keller stellte in seinem Vortrag die neue Fashion-Plattform von Zalando vor und zeigte deren Vorteile und Wirkungshebel insbesondere für kleinere Fashion-Marken auf. Diesen Bereich verantwortet Herr Dr. Keller bei der Zalando SE. Seine Funktionsbeschreibung als Vizepräsident für das „Direct-to-Consumer“ Geschäft macht bereits explizit deutlich, welche Veränderungen sich hier für Fashion-Marken ergeben: Aus in der Vergangenheit meist indirekten Beziehungen zum Konsumenten werden – Zalando sei Dank – zukünftig immer häufiger direkte Beziehungen zwischen Fashion-Marken und ihren Kunden. Auch der Untertitel des Vortrags von Dr. Keller „How online-platforms transform the industry“ lies keine Zweifel aufkommen, dass aus Sicht von Dr. Keller tiefgreifende Umwälzungen auf Fashion-Marken – und Marken in anderen Branchen – zukommen.
Ganz im Sinne einer modernen Markenführung eröffnet dies zahlreiche neue Chancen, den Kunden in direkten und personalisierten 1:1 Interaktionen die Identität der Marke zu vermitteln und Kunden nachhaltig an die Fashion-Marke und nicht an dazwischengeschaltete Händlermarken zu binden. Die zugleich entstehenden neuen Risiken durch eine hohe und wachsende Abhängigkeit von Zalando bzw. anderen Plattformbetreibern wurden zuvor bereits im Vortrag von Professor Brexendorf aufgezeigt und auch in der anschließenden Diskussion mit Dr. Keller, Professor Burmann und dem Auditorium vertieft.
Im weiteren Verlauf seines Vortrags zeigte Herr Dr. Keller sehr nachdrücklich die umfassenden Veränderungen auf der Nachfrageseite des Fashion-Marktes auf (vgl. Abb.). Diese Entwicklung verdeutlichte Dr. Keller exemplarisch am Sneaker-Einzelhändler „Stadium Goods“ aus Soho in New York, der zunächst als ein singuläres 400 Quadratmeter großes Sneaker-Outlet gegründet wurde und dann im Herbst 2017 erstmals am sog. „Singles-Day“ von Alibaba teilnahm (an einem Tag generierte der Singles-Day einen Umsatz von über 25 Milliarden US-Dollar). Dadurch erreichte Stadium Goods nur 18 Monate nach der Unternehmensgründung mit lediglich einem Ladengeschäft einen Umsatz von über 120 Millionen US-Dollar.

Die sich immer stärker etablierenden Plattformen im Fashion-Markt unterteilte Dr. Keller dann in zwei Erscheinungsformen: „transactional platforms“ und „relational platforms“. Während Erstere von Dr. Keller kritisch bewertet wurden, weil sie unter starkem Preisdruck als Folge hoher Austauschbarkeit leiden würden, attestierte er den „relational platforms“ eine vielversprechende Zukunft. Hier ordnete er auch die neuen Angebote von Zalando ein.

Um als Fashion-Marke auf einer „relational platform“ wie derjenigen von Zalando erfolgreich zu sein, müssten in sechs Bereichen Herausforderungen gemeistert werden: Connectivity, Decision Making, Omnichannel, Marketing, Fulfillment und Buying. Dr. Keller verdeutlichte im verbleibenden Teil seines Vortrags anhand konkreter Beispiele, wie Zalando genau diese sechs Herausforderungen durch spezielle Serviceangebote für die auf seiner Plattform aktiven Fashion-Marken meistere. Dadurch ergeben sich für die Fashion-Marken auf der Zalando-Plattform (oder ähnlich auf den Plattformen von Amazon oder Alibaba) völlig neue Möglichkeiten des Beziehungs-Managements zu ihren Kunden. Damit können – auch kleinere – Fashion-Marken die dramatischen Umwälzungen im Fashion-Markt erfolgreich bewältigen und langfristig stark wachsen.

Vorabendveranstaltung
Seit 2004 ist der G·E·M Markendialog flankiert durch eine Vorabendveranstaltung. Am Vorabend zum 15. G·E·M Markendialog, am 23. Februar 2011, wurde erstmals der »G·E·M Award« verliehen für Menschen, die hinter der Marke stehen, für Persönlichkeiten, die ihre Marken zu Persönlichkeiten haben heranreifen lassen, für Vordenker auf dem Gebiet des Markenwesens. Diesen Award hat die G·E·M 2010 anlässlich „100 Jahre G·E·M“ geschaffen.
Ausgezeichnet mit dem »G·E·M Award« wurden 2011 Emil Underberg, 2012 Albert Darboven, 2013 Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell, 2014 Dr. h.c. August Oetker, 2015 Prof. Götz W. Werner, 2016 Herbert Hainer, 2017 Alfred T. Ritter und am 14. Februar 2018 Werner M. Bahlsen.
Ausführliche Berichte: www.gem-online.de/award
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Bericht: Prof. Dr. Christoph Burmann, Bremen, und Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Christian Kruppa, Berlin
Sponsor: Sebapharma GmbH & Co. KG
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