21. G·E·M Markendialog 2017
Die Marke im Zentrum der Transformation
16. Februar 2017
SEMINARIS CampusHotel Berlin
Zum 21. Mal führte die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens ihre Frühjahrsveranstaltung durch - den G·E·M Markendialog. Das Thema des 21. G·E·M Markendialogs am 16. Februar 2017 im Science & Conference Center des SEMINARIS CampusHotel Berlin lautete:
Die Marke im Zentrum der Transformation

Transformation ist ein Prozess des Wandelns, der Erneuerung, des Trennens von Bewährtem. Über Transformation, vor allem digitale Transformation, wird heute viel geredet und geschrieben. Doch die Rolle der Marke in diesem Prozess des Wandelns wird bislang komplett vernachlässigt – so Friedrich Neukirch, Präsident der G·E·M, in seiner Begrüßung. Grund genug, dass die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens dieses Thema zu ihrem Tagungsthema 2017 macht – mit den vier Themenblöcken: (1) Die großen Transformationen, (2) Marken-Vertrauen im digitalen Kommunikationsgewitter, (3) Marken-Kraft als Anker im Prozess der Transformation und (4) Marken-Führung im Kontext der Transformation.
Für die Aufbereitung dieser Themen wurden äußerst kompetente Referenten aus Wissenschaft und Praxis gewonnen:
1. Für die Keynote-Speech „Die großen Transformationen“: Leo A. Nefiodow, einer der bekanntesten Vertreter der Theorie der langen Wellen. 1990 erschien sein Buch „Der fünfte Kondratieff: Strategien zum Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft“, 1996 folgte „Der sechste Kondratieff: Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalter der Information“ (2014 siebte aktualisierte Auflage).
2. Für den ersten Themenblock „Marken-Vertrauen im digitalen Kommunikationsgewitter“: Prof. Dr. Christoph Burmann, Universität Bremen, Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement (LiM), und Axel Dahm, Sprecher der Geschäftsführung Bitburger Braugruppe.
3. Für den zweiten Themenblock „Marken-Kraft als Anker im Prozess der Transformation“: Prof. Dr. Peter Kenning, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, und Jennifer Treiber-Ruckenbrod, Leitung Markenportfoliostrategie und Markenmessung, BMW Group.
4. Für den dritten Themenblock „Marken-Führung im Kontext der Transformation“: Prof. Dr. Marcus Schögel, Institut für Marketing an der Universität St. Gallen (IfM-HSG), und Dr. Florian Resatsch, Head of Customer Experience & Brand Management, Viessmann Group.
Destruction or Transformation ?
Process of Creative Destruction (Prozess der schöpferischen Zerstörung) nennt Schumpeter den Prozess, „der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft”.
Doch er fügt hinzu:
„Destruction may not be the right word after all. Perhaps I should have spoken of
transformation.”
Joseph A. Schumpeter: Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1942,
The Process of Creative Destruction (pp. 81-86) and p. 162
Deutsche Ausgabe: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1946,
Der Prozess der schöpferischen Zerstörung (S. 134-142) und S. 262
Keynote:
Die großen Transformationen

Leo A. Nefiodow begann seine Keynote mit: In der Marktwirtschaft gibt es keinen Stillstand. Entweder geht es aufwärts oder es geht abwärts. Auf jeden Aufschwung folgt die Rezession, auf jede Rezession kommt früher oder später wieder ein Aufschwung. Die Ökonomen, die sich mit diesen Schwankungen beschäftigen, unterscheiden drei Typen von Zyklen:
Es gibt kurze Zyklen, die nennt man Kitchin-Zyklen (Joseph Kitchin, 1861-1932), die dauern ungefähr drei Jahre. Es gibt mittlere Zyklen, die dauern ungefähr sieben bis elf Jahre, die nennt man Juglar-Zyklen (Clémont Juglar, 1819-1905). Und dann gibt es lange Zyklen, die dauern ungefähr ein halbes Jahrhundert. Sie werden benannt nach ihrem Entdecker, dem russischen Wissenschaftler Nikolai Kondratieff (1892-1938): Kondratieff-Zyklen, Kondratieff-Wellen. Und diese langen Zyklen sind für unser Thema „Die großen Transformationen“ ganz besonders wichtig, weil sie so ziemlich die überschaubarsten und nachhaltigsten Transformationen mit sich ziehen.
Die sechs Kondratieffs …
Die Abbildung „Lange Wellen und ihre wichtigsten Bedarfsfelder“ zeigt die bisher von Ökonomen empirisch nachgewiesenen langen Wellen. Wir haben insgesamt fünf vollständig durchlaufen und sind im Moment in der sechsten langen Welle, im 6. Kondratieff.

In der oberen Zeile stehen die Auslöser. Das sind bahnbrechende Innovationen. Wenn die einmal in den Markt gelangen, erzeugen sie einen ganz neuen Markt, ganz neue Unternehmen. Sie verdrängen viele andere Unternehmen, was Schumpeter mit kreativer Zerstörung beschreibt. Es setzen sich vor allem jene Unternehmen durch, die diesen neuen langen Zyklus am besten verwerten können.
… von der Angebots- und der Bedarfsseite
Wir sind am Anfang des Sechsten Kondratieff-Zyklus. Wir haben über die einzelnen Kondratieff-Zyklen gesprochen aus dem Blickpunkt der Angebotsseite. Welche Innovationen auf den Markt kommen, wie Innovationen sich ausbreiten, wie die Gesellschaft sie akzeptieren muss oder nicht.
Man kann das Ganze aber auch aus der Bedarfsseite betrachten.
Der erste Kondratieff war die Zeit, wo der Bedarf nach Kleidung und Textilien befriedigt wurde. Der Zweite, der Bedarf nach Stahlprodukten. Stahlbrücken, Stahl-Eisenbahn, Stahlmaschinen, Stahlbauten und so weiter. Der Dritte Kondratieff ist die Zeit, wo ein Massenbedarf befriedigt wird, den es bisher nicht gegeben hat. Ein Massenbedarf an elektrischen und chemischen Produkten. Der Vierte Kondratieff ist die Zeit, wo der Bedarf nach individueller Mobilität befriedigt wird. Im Fünften Kondratieff der Bedarf nach Information und Kommunikation.
Eine wirkliche Transformation kommt auf uns zu
Leo A. Nefiodow schloss seine Keynote mit der Aufforderung, zu hinterfragen: Was konnten wir uns bisher leisten, was können wir uns auch jetzt noch leisten, was aber fehlt den Menschen heute? Wofür sind die Menschen jetzt bereit, Geld auszugeben?
Das Ergebnis der Analyse: Die Menschen möchten gesund sein. Nicht nur körperlich gesund, aber mit einer kranken Seele oder mit verkappten anderen Krankheiten. Die Menschen möchten geheilt werden, sie möchten ganzheitlich geheilt werden. Wer das bietet, dem ist man bereit, auch dafür zu bezahlen.
Das ist der Unterschied zwischen dem sechsten und allen anderen Kondratieff-Zyklen. Und das ist eine wirkliche Transformation, die auf uns zukommt. Jetzt geht es nicht mehr darum, neue Maschinen, neue Hardware-Technologien, neue chemische Prozesse zu entwickeln. Das bleibt wichtig, auch die Digitaltechnik bleibt wichtig, aber das ist Hardware-Technik. Jetzt steht der Mensch im Vordergrund. Jetzt kommt es darauf an, die enormen schlummernden Potenziale des Menschen zu erschließen. Das ist die Botschaft des 6. Kondratieff. Der Mensch ist das beste Investitionsprogramm.
Block I:
Marken-Vertrauen im digitalen Kommunikationsgewitter
Aus dem „information overload“ von gestern ist heute vor allem durch die Aktivitäten in den Social Media ein „Kommunikationsgewitter“ neuer Art geworden, das an den Marken nicht spurlos vorbeizieht, das Gefahr für das Vertrauen in Marken bedeutet. Im „Kommunikationsgewitter“, das täglich über uns niedergeht, müssen Markenwerte wie Qualität, Verlässlichkeit, Innovation immer wieder erklärt und verteidigt werden.

Stellungnahme aus der Wissenschaft:
Prof. Dr. Christoph Burmann, Universität Bremen, Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement (LiM)
Was passiert heute wirklich in den Köpfen der Menschen? Welche Informationen treffen gewollt und ungewollt auf die Menschen im Markt? Wie ist das Informationsverhalten der Menschen im digitalen Kommunikationsgewitter? – Die eindeutige Antwort von Professor Burmann: Digitalisierung verändert die Aufnahme und Bewertung von Information. Wir haben heute eine sehr viel stärkere bildhafte Aufnahme von Information und das führt dazu, dass Informationsverarbeitung fast nur noch emotional erfolgt. Die Markenführung muss deswegen zukünftig (noch) bildhafter und viel emotionaler werden.
Wichtig ist in diesem Kontext das Zusammenspiel von Marke und Vertrauen. Marken können Vertrauen anbieten und Risiken abfedern. Wie Leo A. Nefiodow in seiner Keynote, so konstatiert auch Prof. Burmann: Die subjektive Verunsicherung steigt. Deshalb wird Vertrauen grundsätzlich wichtig, aber: Vertrauen gegenüber Marken sinkt und ist heute auf einem sehr niedrigen Niveau. Das macht eine Neuausrichtung der Markenführung erforderlich, um als Gegenpol gegen Verunsicherung zu agieren.
Prof. Burmann setzt vor allem auf Vertrauen und Brand Attachement, emotionale Bindung an eine Marke. Diese wirken als „Blitzableiter“ im digitalen Kommunikationsgewitter. Hat die Marke hohes Vertrauen und vor allem hohes Brand Attachment, kann sie sich alles erlauben. Jedoch: Brand Attachement und Vertrauen sind hochgradig abhängig von Markenauthentizität und diese wiederum ist ohne Identität nicht möglich. Ohne Identität in der Markenführung geht es nicht.

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Bericht aus der Praxis:
Axel Dahm, Sprecher der Geschäftsführung Bitburger Braugruppe
Mit seinem Bericht aus der gelebten Praxis im Umgang mit dem digitalen Kommunikationsgewitter gab Axel Dahm Antworten auf Fragen wie diese: Wie verteidige ich Marken-Vertrauen? Wie lässt sich das digitale Kommunikationsgewitter gestalten? Kann man sich darauf vorbereiten? Sollte man reaktiv oder proaktiv handeln? – Seine Empfehlung: Proaktiv antizipieren, was auf einem zukommen kann und passende Antworten parat haben.
Digitalisierung verändert das Leben und revolutioniert die Kommunikation – so Axel Dahm. Und als Belege gab er Daten zu den Themen: Die digitale Transformation bekommt erst 2007 mit der Einführung des iPhones den entscheidenden Schub. Mit den digitalen Tools nimmt auch die Anzahl der Online-Nutzer stark zu sowie die Nutzungsdauer, die 2016 erstmals über zwei Stunden pro Tag liegt. Smartphones überholen Laptops als häufigstes Internet-Gerät und werden insbesondere für Kommunikationszwecke eingesetzt; dabei spielen Facebook, WhatsApp und Google die größten Rollen unter den Online-Anwendungen.
Wie verhält sich der Konsument im digitalen Kommunikationsgewitter? Im digitalen Kommunikationsgewitter sind Nutzer und Konsumenten zunehmend der Informationsflut ausgesetzt, u.a. 6.000 und mehr Werbekontakten pro Tag. Einerseits heizt die Informationsfülle und tendenziell negative Berichterstattung der Medien den Skandalisierungswahn an (Beispiele: McDonald’s, ING DIBA, Barilla und Kikat) und führt zu einer erhöhten Skepsis gegenüber Institutionen und Branchen. Deshalb – so Dahm – fragen Sie sich selbst: Wie sind Sie aufgestellt in Ihrem Unternehmen, welche Krisenszenarien gehen Sie mit wem durch, um Ihre Marken zu schützen und deren Vertrauen zu erhalten? Doch Axel Dahm streicht zugleich heraus: Das reichhaltige Informationsangebot bietet dem Konsumenten die Möglichkeit, sich ausgiebig über Produkte und Dienstleistungen zu informieren, was zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein und Anspruchsdenken der Konsumenten führt.
Für Axel Dahm bleibt Marken-Vertrauen die härteste Wahrung. Und das heißt in der heutigen Zeit: Marken müssen zunehmend das Vertrauens-Vakuum füllen, das durch die Informationsflut und den Skandalisierungswahn der Medien erzeugt wird.
Am Beispiel Gerolsteiner, für das Dahm von 2008 bis 2016 verantwortlich zeichnete, zeigt er den Weg: Selbstähnlichkeit und Konstanz in der Markenführung über Zeiträume und Kontaktpunkte hinweg für eine hohe Glaubwürdigkeit und ein nachhaltiges Vertrauen in die Marke. Selbstähnlichkeit und Konstanz in der Markenführung bedeutet: Besondere Produktqualität, beste Qualitätsprozesse, kohärente Kommunikation und entschlossene Transparenz; wobei letzteres heißt: Kritische Themen und Verbraucherfragen offen und proaktiv kommunizieren.

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Block II:
Marken-Kraft als Anker im Prozess der Transformation
Über Transformation, vor allem digitale Transformation, wird heute viel geredet und geschrieben. Doch die Rolle der Marke in diesem Kontext wird bislang komplett vernachlässigt. Daher: „Marken-Kraft als Anker im Prozess der Transformation“.

Stellungnahme aus der Wissenschaft:
Prof. Dr. Peter Kenning, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Transformation ist nach Professor Kenning eine deutliche Veränderung einer grundlegenden Eigenschaft eines Objektes. Das Objekt, das sich verändert, kann eine Marke, ein Markt oder auch ein Unternehmen sein. Transformationsprozess bezeichnet die mehr oder weniger schrittweise Abfolge von Ereignissen, die zu dieser Veränderung führen.
Prof. Kenning unterscheidet zwei Arten von Transformation: Die interne Transformation ist die Weiterentwicklung der Marke von innen heraus, zum Beispiel Innovation, Änderung des Produktdesigns oder der Produktqualitäten; das sind transformative Prozesse, die intern stattfinden. Bei externen, äußeren Transformationen verändern sich die Rahmenbedingungen in dem Markt, in dem die Marke angesiedelt ist. Kenning unterscheidet somit in Veränderungen, die einen internen oder einen externen Bezug haben, trennt begrifflich in Marken-Transformation (die im Unternehmen liegende) und Markt-Transformation (die von außen kommende).
Prof. Kenning hat die Markttransformation (Marke im „Prozess der Transformation“) im Fokus. Er ordnet die Kräfte oder Elemente, die den Markt, in dem die Marke angesiedelt ist, transformieren können, fünf Bereichen zu: Ökonomische Veränderungen, ökologische Veränderungen, sozio-kulturelle Veränderungen, politisch-rechtliche Veränderungen und technologische Veränderungen. Und Marke ist für Kenning „ein in der Psyche der Konsumenten verankertes, unverwechselbares Vorstellungsbild von einem Objekt (Produkt, Dienstleistung) oder einem Subjekt (Person, Institution)“.
Bringt man Transformationsprozess und Marke zusammen, lassen sich zwei Wirkungen von Marke im Transformationsprozess erkennen:
- Psychografische Wirkungen: zum einen die Vermeidung von Irritationen, zum anderen die Steigerung von Glaubwürdigkeit und Akzeptanz
- Ökonomische Wirkungen: geringe Kosten bei gleichem Wirkungsniveau bzw. bei gleichen Kosten höheres Wirkungsniveau.

Prof. Kenning formulierte als These: Marken wirken umso stärker, je mehr der Kunde durch die jeweiligen Veränderungsprozesse, die über die verschiedenen Elemente auf die im Markt angesiedelte Marke wirken, verunsichert sind. Und kommt zu einem dreifachen Ergebnis:
- In Situationen, in denen der Kunde eine Markttransformation wahrnimmt und dies seine Unsicherheit erhöht, verstärkt sich der aus der neuroökonomischen Markenforschung bekannte FCB-Effekt (First Choice Brand).
- Eine im Kontext von Markttransformationen oft zu beobachtende Zunahme der Unsicherheit der Kunden erhöht die Relevanz der Marke.
- Somit sollten starke Marken im Prozess der Transformation noch an Bedeutung gewinnen und ihre Monopolstellung in den Köpfen der Kunden ausbauen können (Hans Domizlaff: Ziel der Markenführung ist „die Sicherung einer Monopolstellung in der Psyche der Verbraucher“).
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Bericht aus der Praxis:
Jennifer Treiber-Ruckenbrod, Leitung Markenportfoliostrategie und Markenmessung, BMW Group
Es ist nicht so, dass Transformation für uns neu ist, dass wir erstmalig einen Wandel durchleben – begann Jennifer Treiber-Ruckenbrod ihren Bericht aus der Praxis der BMW Group. Es ist auch nicht so, dass die letzten hundert Jahres alles gleich war. Heute fragen wir uns: Wo stehen wir aktuell? Welcher Wandel steht uns bevor? Was treibt diesen Wandel, was sind die Transformationskräfte?
Die Veränderung wird getrieben durch drei zentrale Trends: Urbanisierung, Nachhaltigkeit und Technologie/Digitalisierung. Und mit den Trends wandeln sich die Anforderungen unserer Kunden, so Treiber-Ruckenbrod. Hinzu kommt: Digitale Player verändern die Maßstäbe für Mobilitätsangebote.
Insgesamt spricht man bei BMW vom Wandel Mobilität 2.0 – vom Auto zur ganzheitlichen Mobilität. Es geht nicht mehr um den Besitz eines Fahrzeugs, sondern um den Besitz von Mobilität. Wie komme ich von A nach B? Und das mit Freude.
Wenn der Kunde im Mittelpunkt steht, müssen wir seine Bedürfnisse kennen: Was ist ihm wichtig? Womit fühlt er sich angesprochen? Es gibt immer mehr Möglichkeiten, den Kunden ganz gezielt anzusprechen. Wichtig ist für Jennifer Treiber-Ruckenbrod: Es ist nicht mehr eine Kundengruppe, die ich bediene, sondern das Bedürfnis eines jeden einzelnen Kunden. Und um das wird es in Zukunft noch viel mehr gehen, insbesondere durch das Thema „Digitalisierung“.
Treiber-Ruckenbrod nennt es „Zurückbesinnung auf den Menschen“. Der Mensch im Mittelpunkt, der wieder Zeit für sich hat, nicht nur gehetzt von A nach B kommen will. Man möchte komfortabel von A nach B kommen, aber auch die Zeit im Fahrzeug nutzen und Freude haben. Für BMW heißt das: Reduktion, Konzentration auf die Innovationen, die beim Kunden ankommen, die ihm einen Mehrwert liefern. Und das als Einzellösung für den Kunden. Nicht für Zielgruppen, sondern für den Einzelkunden.
Als Automobilkonzern müssen wir uns überlegen, so Jennifer Treiber-Ruckenbrod, was in Zukunft unsere Rolle ist? Gestalten wir Mobilität der Zukunft? Bieten wir auf dem Weg von A nach B Alles an, was der Kunde braucht? Sind wir die Marke, die diesen Weg gestaltet, bestmöglich mit unserem Markenversprechen? Die Antwort bei BMW lautet: Wir erfinden uns immer wieder neu. Transformation nach Außen, um das Vertrauen der Kunden behalten zu können. Dafür stehen wir. – Das bedeutet aber auch, die Mitarbeiter auf diese Reise mitzunehmen; ein wichtiger, wenn nicht sogar der entscheidende Schritt: Transformation nach Innen. Wofür stehen wir als Marke? Hier braucht es Change-Management.

Jennifer Treiber-Ruckenbrod resümiert: Die Marke ist nach wie vor – und muss es auch bleiben – ein ganz starker Anker. Ein Vertrauensanker für alle Stakeholder. Sie ist das Herzstück. Wir waren eine Produkt-Marke, konnten Botschaften über Werbung senden. Die Zukunft verlangt, mit dem Kunden in den Dialog zu treten, mit dem Kunden eine Beziehung, ein Erlebnis aufzubauen. BMW als Marke hat sich das Ziel gesetzt, viel nahbarer zu werden. Die Zukunft wird digital, vernetzt, intelligent sein. Das Auto wird zum Companion.
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Block III:
Marken-Führung im Kontext der Transformation
Transformation einer Marke oder eines Unternehmens bedeutet immer auch eine organisatorische Wandlung/Veränderung im Unternehmen. Ist das bewährte Organigramm überholt? Diese Frage stellt sich gegenwärtig vor allem bei der digitalen Transformation: Braucht es einen Chief Digital Officer (CDO)? Auf jeden Fall gilt: Die Marken-Führung im Kontext der Transformation neu verankern.

Stellungnahme aus der Wissenschaft:
Prof. Dr. Marcus Schögel, Institut für Marketing an der Universität St. Gallen
„Markenführung im Kontext der digitalen Transformation“ hat Professor Schögel seine Stellungnahme überschrieben. Er wolle keine geschlossene Theorie zum Thema liefern, sondern Beobachtungen im Unternehmensumfeld skizzieren und Thesen zu den Konsequenzen für die Markenführung formulieren.
Als Ausgangsbasis für die Antwort auf die Frage, wie Unternehmen heute mit der digitalen Transformation umgehen, nutzte Prof. Schögel eine Definition des MIT Massachusetts Institute of Technology: „The realignment of, or new investment in, technology and business models to more effectively engage digital customers at every touchpoint in the customer experience lifecycle.“
Digitale Transformation ist das Neuausrichten oder die Neuinvestition in Technologie und Geschäftsmodelle, um effektiver mit digitalen Kundenkontakten an jedem Touch Point entlang der Customer Experience arbeiten zu können. – Damit wird, so Schögel, alles, was mit Kundenkontakt zu tun hat, was wir unter Markt- oder Kundenorientierung zusammenfassen, digital durchdrungen.
Doch wie gehen Unternehmen mit dem Neuen um? Die Technologie treibt. Die Kunden sind dabei. Doch die Unternehmen tun sich schwer – beobachtet Professor Schögel. Die Kernfrage lautet: Wer soll sich im Unternehmen um die Digitalisierung kümmern? Die Antwort: Das geben wir einem im Unternehmen und der macht das dann. Und die anderen können sich um das kümmern, was sie bisher gemacht haben. Das funktioniert heute nicht mehr, so Schögel. „Sie können nicht ein digitales Projekt aufsetzen, das isoliert vorantreiben und damit einen digitalen Kunden ansprechen. Die digitale Transformation betrifft Jeden im Unternehmen.“
Die Kunden sind beim Digitalen bereits voll dabei. Sie leben „research online – purchase offline“. Im Internet gefunden zu werden, das ist für viele Unternehmen die maßgebliche Herausforderung. Doch eine große Barriere macht Prof. Schögel in der Mentalität der Führungskräfte aus: Warum müssen wir mit unserem Unternehmen digital werden? Mir ist der persönliche Kontakt wichtiger. Viele Führungskräfte seien sich nicht im Klaren, dass andere Unternehmen schon sehr viel weiter sind.
Was aber bedeutet das für die Markenführung? Professor Schögel formulierte seine Konsequenzen in fünf Thesen:
- Kundenprozesse sind nicht linear, sondern gleichen einem „Hummelflug“. Der Kunde kennt keinen Prozess, in dem er verschiedene Stufen nimmt , um eine Kaufentscheidung vorzubereiten. Er geht nicht den linearen Weg. Der Kunde läuft vorwärts, rückwärts, seitwärts, links, rechts. Wie eine Hummel. Also können auch wir uns im Unternehmen nicht linear aufstellen.
- Ein neuer „Moment of truth“ prägt die Markenwahrnehmung. Dazu Prof. Schögel: Wenn über 50 Prozent aller Kundenkontakte online starten, dann haben Sie einen neuen Moment of truth. Und der heißt: Gefunden werden. Das Suchverhalten ist anders. Ich suche nicht den Händler als erstes, sondern die Marke. Wir müssen lernen, wie wir dafür unsere Marke aufstellen. Es geht nur um „search“.
- Experimentieren und Prototypen entwickeln. Theodore Levitt hat bereits 1964 im Journal of Marketing gesagt: Wir müssen experimentieren und so zu einer neuen Kultur kommen. Schögel: Wir müssen probieren und merken, dass es nicht funktioniert. Testen Sie bei Ihren Kunden, die werden Ihnen Feedback geben und dann können Sie Ihre Idee weiterentwickeln. Und das ist ein ongoing process. Ausprobieren, das haben wir verlernt.
- Die weichen Faktoren der (Marken-) Führung sind spielentscheidend. Denn der Mensch steht im Mittelpunkt des gesamten Spiels.
- Chancen aktiv nutzen geht vor Risiken vermeiden. Zur Digitalisierung gibt es keine best practices und keine benchmarks; ich muss es selber lernen, so Prof. Schögel. Es gibt zu viele Unternehmen, die das Internet als Risiko ansehen. Das sei verkehrt. Ich muss mich aktiv darum kümmern, dass ich etwas ändere.
Nach den Beobachtungen im Unternehmensumfeld und den Thesen zu den Konsequenzen für die Markenführung gab Professor Schögel erste Ansätze für eine Verankerung, eine Organisation der digitalen Transformation im Unternehmen. Er macht drei Ebenen im Unternehmen aus, auf denen etwas stattfinden muss: Die Unternehmensebene, die Abteilungsebene und die persönliche Ebene.
Für die Unternehmensebene zeigte Prof. Schögel drei typische Organisationsmodelle für digitale Interaktion: Zentralisiert, kollaborativ und integriert. Dazu die Anmerkungen: Zentralisiert – die Digitalen haben keinen Kontakt zum Rest des Unternehmens, leben ein ganz anderes leben. Kollaborativ – digitale Aktivitäten teilweise dezentralisiert, aber zentral koordiniert. Integriert – Jeder hat digitale Aufgaben, es gibt keine digitalen Spezialisten und keine Digital-Abteilung (vgl. Abb.).

Für die Abteilungsebene erklärte Prof. Schögel die Aufgaben anhand des Digital Acceleration Teams im Headquarter von Nestlé: Eine Abteilung, die sich damit beschäftigt und erfährt, wo über das Unternehmen geredet wird. Die zugleich als Change Agent wirkt, Digital-Aufgaben als Trainer und Evangelist in die einzelnen Länder trägt, um dort das Digital-Thema voranzutreiben.
Für die persönliche Ebene setzte sich Prof. Schögel besonders ein: Es geht nicht um Big oder Smart Date; es geht darum, dass Sie als Unternehmensführer wissen, was diese Daten Ihnen sagen. Sie brauchen analytische Skills; machen Sie nicht den Fehler, dass Sie sich auf etwas verlassen, was Sie selbst nicht nachvollziehen können. Und: Wir brauchen alle das gemeinsame Verständnis dessen, was wir digital tun. Wir müssen alle eine gemeinsame Sprache haben. Schließlich: Das größte Problem besteht gegenwärtig ganz oben: dass man versteht, was man gegenwärtig alles digital tun muss.
Starten Sie eine Initiative, sich ins Digitale reinzuwagen – ist die Empfehlung von Professor Schögel. Was bedeutet, die digitale Transformation auszuprobieren. „Probieren Sie aus mit dem Bewusstsein, dass es schiefgehen kann. Die meisten ersten digitalen Projekte gehen schief, die zweiten sind meistens die erfolgreichen. Aus den ersten lernen Sie aber mehr als aus den erfolgreichen. Und dann verankern Sie das im Unternehmen, indem Sie Ihre Erkenntnisse den Mitarbeitern weitergeben.“
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Bericht aus der Praxis:
Dr. Florian Resatsch, Head of Customer Experience & Brand Management, und Moritz Rose, Head of Design, beide Viessmann Group

„Digitalisierung und Disruption ist so ein bisschen überstrapaziert“ – begann Dr. Florian Resatsch seinen Bericht aus der Praxis zur digitalen Transformation bei Viessmann. Die Viessmann Group ist einer der international führenden Hersteller von Heiz-, Industrie- und Kühlsystemen. Das 1917 gegründete Familienunternehmen beschäftigt heute 11.600 Mitarbeiter, hat 22 Produktionsstätten in 11 Ländern, 120 Verkaufsniederlassungen in 74 Ländern und generiert 56 Prozent des Umsatzes aus dem Export.
Wie kommt ein hundert Jahre altes Unternehmen mit der Digitalisierung klar? Dass Viessmann Super-Produkte baut, das wusste das komplette Management, doch das Wort Disruption hatte man noch nicht gehört. Disruption oder Veränderung war nicht angesagt, bisher ging es darum, dass das Unternehmen Bestand hat – so Dr. Florian Resatsch. Doch das hat sich vor anderthalb Jahren geändert: „Man hat sehr hart angefangen, Dinge zu verändern und zu transformieren.“
Wir haben angefangen, die Unternehmens-Vision zu ändern: Weg von dem, was eine Heizung betreibt zur Vision für die Zukunft: „We take care of the planet with customer-centric energy solutions“. Es sei wichtig, sich tatsächlich darum zu bemühen, Nachhaltigkeit zu schaffen – ergänzt Dr. Resatsch – und Customer-Centric Energy Solutions zu bauen. Und das bedeute Veränderung im ganzen Unternehmen.

Viessmann hat einen zweistufigen Vertrieb: Auf der einen Seite den Installateur, auf der anderen Seite den Endkunden. Bisher habe man an den Installateur verkauft, und das werde auch in Zukunft so bleiben. Aber customer centricity verlangt nach mehr Einbezug des Endkunden. Und so habe man den Endkunden mit seinen Bedürfnissen mehr betrachtet. Man kauft in seinem Leben maximal zwei Mal eine Heizung, außer sie geht kaputt, dann vielleicht drei Mal. Aber der Zyklus ist ein ganz langer. Doch dann muss die Marke „Viessmann“ im entscheidenden Moment auf den Punkt genau präsent sein.
Um den Endkunden entgegenzukommen hat Viessmann u.a. das Portal „heizung.de“ geschaffen, das die Interessenlagen des Endkunden aufgreift. Hilfestellung schon für die Informations-Phase.
Und die Marke muss immer präsent sein. Sie muss sich nach draußen zeigen für den Installateur und den Endkunden. Das bedeute eine gewisse Flexibilität. Bisher gab es den Claim „Climate of Innovation“; er wurde abgeschafft. Heute arbeitet Viessmann ohne Claim. „Wir machen einen Power Brand“, so Florian Resatsch.
Um die digitale Transformation bei Viessmann im Unternehmen gezielt zu verankern und voranzutreiben, hat man sogenannte „Collaboration Meetings“ geschaffen, bei denen sich Mitarbeiter aller drei Core-Geschäftsfelder (Heiz-, Industrie- und Kühlsysteme) treffen. Jeder zeigt seine Fortschritte im Digitalbereich. So können Alle durch den Austausch gemachter Erfahrungen profitieren.

Moritz Rose, bei Viessmann zuständig für das Thema Design (Kulturelles Design, Industrie-Design, Corporate Design und Marketing-Design), greift den von Dr. Resatsch gebrachten visionären Gedanken „We take care of the planet“ auf. Strommasten und Technologie könnten nicht die wünschenswerte Zukunft sein. Bei Viessmann arbeite man an einer Zukunft, „in der wir überhaupt keine Technologie mehr sehen“. Der ideale Viessmann-Kessel sei eigentlich unter Putz. Doch wenn kein Produkt mehr zu sehen, wo ist dann die Marke?
Zurzeit baut Viessmann ein Design Lab auf, den „Werkraum“, die Berliner Design-Einheit von Viessmann. Als Marktführer für nachhaltige Heizungs-, Industrie- und Kühlsysteme und Pionier in der deutschen Energiewende will man mitmachen, um die Welt von morgen zu schaffen. Gesucht werden excellent designers of all kinds. Ihre Aufgabe ist es, perfekt bediener- und markenorientierte Lösungen zu finden, die Menschen faszinieren und ihnen ein nachhaltigeres Leben ermöglichen.
Was wir allerdings in Wirklichkeit machen – so Moritz Rose: wir integrieren die Leistungsmerkmale und die Features unseres Produkt-Angebotes. Dies mit der Zielsetzung, dem Kunden ein Dienstleistungs-Angebot zu bieten. Ein Angebot, das so selbstverständlich und so glatt funktioniert, dass Wärme einfach ein ganz normaler Teil des Lebens wird. So arbeite man an der Idee „Heizung in der Wand“. Für ein Fertigbauhaus könne man dann eine Wand mit Heizung von Viessmann wählen. Diese ließe sich auch von außen warten kann, der Kunde muss nicht zuhause sein.
Im Grunde ginge es um die Dimension von Wärme. Und hier geht es um Fragen wie: Lässt sich Wärme sensuell, emotional, haptisch, kontextuell aufladen mit Licht, Ton, sogar mit Wärme als haptischer Fläche? Vielleicht mit textilen Materialien oder mit Analogien von Feuer? Oder mit einer Leuchte, die sprachgesteuert ist? Oder mit einem 3D-Scan kombiniert mit Thermografie, wo ein Wohnraum mit Wärmeinformationen zusammengescannt wird? – Das sei, resümiert Moritz Rose, nur ein schneller Einblick in das, woran man bei Viessmann aus Designsicht forscht.
Veränderung, greift Dr. Florian Resatsch das zentrale Thema noch einmal auf, zeigt sich beim Designprozess ganz besonders, hier mache man Vieles anders als früher. Für die Viessmann Group ist digitale Transformation hochaktuell. Anlässlich „100 Jahre Viessmann“ (2017) spricht man von Aufbruch in der Energiewende und von Aufbruch in die Digitalisierung. Zweimal Transformation. Ob man für die Transformation in die Digitalisierung einen Chief Digital Officer, einen CDO benötige? Maximilian Viessmann (vierte Generation der Unternehmerfamilie) ist der CDO der Viessmann Group. Seine Aufgabe sei, Themen der Digitalisierung voranzutreiben und nicht nur organisational das Ganze zu verzahnen. Dazu gehöre auch, die Kultur im Unternehmen zu ändern.
Maximilian Viessmann selbst sagt in einem Interview mit der Handelszeitung, Zürich, vom 1. Dezember 2016: „In erster Linie habe ich das Ziel, mich bzw. die Position des CDO überflüssig zu machen. Die digitalen Elemente unseres Geschäftsmodells müssen Teil der bestehenden Aktivitäten werden. Daher transformiere ich das Geschäft im Kern und sorge für digitale Innovationen von außen.“
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Vorabendveranstaltung
Seit 2004 ist der G·E·M Markendialog flankiert durch eine Vorabendveranstaltung. Am Vorabend zum 15. G·E·M Markendialog, am 23. Februar 2011, wurde erstmals der »G·E·M Award« für Menschen, die hinter der Marke stehen, für Vordenker auf dem Gebiet des Markenwesens, verliehen. Diesen Award hat die G·E·M 2010 anlässlich „100 Jahre G·E·M“ geschaffen. Ausgezeichnet mit dem »G·E·M Award« wurden 2011 Emil Underberg, 2012 Albert Darboven, 2013 Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell, 2014 Dr. h.c. August Oetker, 2015 Prof. Götz W. Werner, 2016 Herbert Hainer und am 15. Februar 2017 Alfred T. Ritter.
Ausführliche Berichte: www.gem-online.de/award
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Bericht: Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Christian Kruppa / Michael Königs, Berlin
Sponsor: Pharma-Peter GmbH, Hamburg
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