17. G·E·M Markendialog 2013
Marken brauchen Preisführung
28. Februar 2013
SEMINARIS CampusHotel Berlin
Zum 17. Mal führte die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens ihre jährliche Frühjahrsveranstaltung durch – den G·E·M Markendialog. Am 28. Februar 2013 ging es im SEMINARIS CampusHotel Berlin um das brisante Thema:
Marken brauchen Preisführung
Sie sind gekommen, begrüßte Friedrich Neukirch, Vorsitzender der G·E·M, die Teilnehmer, um mit uns gemeinsam das Thema „Marken brauchen Preisführung“ zu erörtern. Ein hochaktuelles, zugleich langfristig brisantes Thema, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, bin ich doch seit 1968 aktiv als Marktteilnehmer dabei.
Die zweite GWB-Novelle von 1973 hat das Verbot der vertikalen Preisbindung per 1. Januar 1974 gebracht. Dazu war der Hintergrund, die starke Rolle der Industrie abzufedern und für mehr Wettbewerb auf der Handelsebene zu sorgen. Dass wir uns heute in einer umgekehrten Situation befinden, nämlich Nachfragemacht des Handels, erklärt die Forderung des Markeninhabers auf Herstellerseite, mehr Einfluss auf die Preisstellung zu nehmen. Denn: Verlässt eine Marke die vom Hersteller positionierte Preisstellung, so werden die mit der Marke verbundenen Werte verändert. Dies führt zu Wert- und Imageverlust.
Wolfgang Twardawa, eine Kenner der Markenszene, GfK-Experte, hat das kürzlich mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht: „Durch die Konzentration im Handel hat sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Handels verschoben. Dies beklagen vor allen Dingen mittelständische Hersteller. Aktuell wird die doppelte Preishoheit des Handels vor dem Hintergrund wachsender Eigenmarken beklagt.“
Markenführung mit allen Instrumenten des Marketing-Mix – Produkt, Preis, Distribution und Kommunikation – ist dem Markenartikler als Markeninhaber kaum noch möglich. Darüber müssen wir sprechen. Nicht nur mit dem Handel, sondern auch mit dem Kartellamt.
Doch offenbar wagt sich niemand an dieses Thema heran. Wer hat Angst und wovor? Ist das Thema zu heiß? Dann, meine Damen und Herren, ist es ein Thema für die G·E·M, für die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens. Und so sind wir heute in Berlin zusammen gekommen, um das Thema „Marken brauchen Preisführung“ auf den Tisch zu legen und neue Denkansätze zu entwickeln, die der Marke und der Wirklichkeit in der Markenwirtschaft näher kommen. Dabei werden uns die von uns eingeladenen Referenten und Diskussionspartner helfen.
Block I:
Marke und Preisführung – Rückschau bis ins Jahr 1875
Historische und theoretische Erkenntnisse hat Wolfgang K.A. Disch, G·E·M Geschäftsführer, in einer bis ins Jahr 1875 zurückreichenden Studie aufbereitet. In seine Präsentation der zentralen Ergebnisse eingeblendet wurden zwei Beiträge:
(1) „Als der Instrument Preisbindung der 2. Hand verloren ging. Ein Zeitzeuge berichtet“. Zeitzeuge ist Peter Zühlsdorff, Industriemanager seit 1967.
(2) „Der Preis als Orientierungsgröße für den Konsumenten. GfK-Daten zur Sicht der Verbraucher“. Ein Bericht von Claudia Gaspar, Head of Knowledge Management GfK Verein, Nürnberg.
Mit „Begriffe sind die Werkzeuge der Geisteswissenschaften“ begann Wolfgang K.A. Disch seinen Bericht. „Preisführung“ sei ungewohnt, vielleicht sogar neu. Preisführung ist ein Teil der Markenführung und bedeutet: Der Marken-Inhaber bestimmt, setzt, leitet, lenkt, steuert den Preis in den Absatzwegen, über die er seine Endkunden erreichen will. Weil der Preis für seine Endkunden eine wichtige Orientierungsgröße, ein entscheidender Wertmaßstab ist.
Die Studie, die bis ins Jahr 1875 zurückreicht, zeigt, dass der Preis ein sehr bewegtes Leben hinter sich hat. Vom ausgehandelten Preis über den Festpreis zur Preisbindung. Bindung der Letztverbraucher als Ziel der Markenartikler. Preisbindung, Wunsch des Fachhandels. Pioniere der Preisbindung. Markenschutz als Vorreiter der Preisbindung. Der Handel schiebt sich zwischen Hersteller und Verbraucher. Die bewegten 1930er Jahre. Meinungen zur Preisbindung 1947 ff.: Von Ludwig Erhard bis Konrad Mellerowicz. Warum Verbot der Preisbindung? Die Macht des Handels wächst schon früher. Marketing-Mix in neuer Verteilung. Hersteller auf dem Rückzug? Pro Beibehaltung der Preisbindung. Preisführung für Marken heute. Was wird sein?
26 Seiten Manuskript zum Download (pdf 0,4 MB)
Peter Zühlsdorff war in der Zeit, als das Verbot der Preisbindung der 2. Hand vorbereitet und vollzogen wurde und danach dabei: erst im Marketing bei Klosterfrau, dann als Geschäftsführer des Solinger Unternehmens Tondeo, ab 1978 als Vorstand von Wella. Sein Zeitzeugen-Bericht war kritisch:
Die Umstellung von der Preisbindung zur Preisempfehlung in 1973/74 hatte per Saldo bei Nahrungs- und Genussmitteln keine Preissenkungswirkung zur Folge. Das aber war ein Ziel der zweiten GWB-Novelle. Wozu die Aufregung? Aber was ist in der Praxis tatsächlich passiert? Zühlsdorff schlug einen großen Bogen von der Mitte der 1970er Jahre bis in die heutige Zeit, in der wir „vor einem Oligopol des Handels stehen“. Und er gab Antworten auf seine Frage: „Was ist die Konsequenz daraus?“
Peter Zühlsdorff endete mit: „Ich bin ganz eindeutig der Meinung, dass die Preispositionierung ein dramatischer, ein wesentlicher Punkt der Markenführung ist. Wenn die verlorengeht, verlieren Sie die Marke aus der Kontrolle und es kommt zu dramatischen Konsequenzen. Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen: „Wehren Sie sich sachlich gegen das, was auf Sie zukommen soll. Denn das, was vonseiten der Kartellbehörden angestrebt wird, das ist weltfremd. Das ist falsch und das führt dazu, dass der Markenartikel immer weniger Bedeutung haben wird.“
Claudia Gaspar beleuchtete unter der Überschrift „Der Preis als Orientierung für den Konsumenten“ die „Sicht der Verbraucher“. Dabei reichte ihr Zeithorizont von Cournot über Georg Bergler und Wilhelm Vershofen, GfK-Daten aus 2006 und 2009 bis hin zu Daten, die vom GfK Verein im Januar 2013 eigens für den 17. G·E·M Markendialog erhoben wurden.
Diese aktuellen GfK-Daten zur Sicht der Verbraucher basieren auf dem „Price-Quality Schema“ der amerikanischen Professoren Netemeyer, Lichtenstein und Ridgway aus den 1990er Jahren. Deren Items-Batterie wurde, ergänzt um weitere, in eine Omnibusumfrage (2.168 Personen) eingestellt. Die Ergebnisse erlauben Einblicke in die Sicht der Verbraucher heute, u.a.:
- Ich finde, die Höhe des Preises sollte tatsächlich etwas über die Qualität des Produktes aussagen.
- Wenn eine Marke ständig im Sonderangebot ist, zweifle ich, dass ihr normaler Preis gerechtfertigt ist.
- Das Preis-Qualitäts-Schema ist nicht (mehr) komplett intakt, doch das Prinzip gilt noch.
- Heute steht das Preisniveau auch für ethische Dimensionen wie Umwelt und Fairness. Claudia Gaspar: „Wir haben heute so etwas wie ein Preis-Ethik-Schema“.
- Bei der Preishoheit (Wer sollte den Preis eines Produktes bestimmen, Hersteller oder Handel?) ist die Sicht der Verbraucher gespalten.
15 Vortrags-Charts zum Download (pdf 0,6 MB)
Block II:
Marke und Preishoheit – Status quo und Ausbruch
Zum zweiten Themenblock sprachen Prof. Dr. Dieter Ahlert, Ordinarius em. für Betriebswirtschaftslehre und Direktor des Marketing-Centers, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, für die Wissenschaft – für die Unternehmenspraxis Hanns-Thomas Schamel, Geschäftsführender Gesellschafter Schamel Meerrettich GmbH & Co. KG, Baiersdorf.
Ich persönlich möchte bekennen, dass ich kein Freund der Preisbindung bin – begann Professor Ahlert seine Ausführungen zu „Marke und Preishoheit“. Ich bin sehr wohl ein Freund einer geordneten Preisgestaltung im Kanal, Preispflege genannt, jedoch kein Freund von Preisbindung. Aber: ich bin auch kein Freund des Preisbindungs-Verbotes. Und ich will versuchen, diesen scheinbaren Widerspruch heute aufzuklären.
Im Mittelpunkt unserer Diskussionen steht die Frage: Darf der Hersteller als Marken-Inhaber überhaupt die Preise in seinem Wertschöpfungssystem steuern? Oder darf ein Mitglied des Absatzkanalsystems, das zum Beispiel per Gesetz angeblich die Hoheit über die Preise hätte, darf dieses Mitglied diese Hoheit auch dazu nutzen, um die Preissteuerung an einen anderen zu übertragen?
Prof. Ahlert bereitete seine Gedanken über vier Vortragsmodule auf:
- Preis-Chaos und Markenbildung:
Neuroökonomische Aspekte - Preis-Chaos und Fortschrittsprozesse:
Wettbewerbstheoretische Aspekte - Preishoheit: ein „Naturrecht des Handels“?:
Wirtschaftsverfassungsrechtliche Aspekte - Vertikale Preiskoordination: Sind die Voraussetzungen einer „Freistellung vom Kartellverbot“ erfüllbar?:
Kartellrechtliche Aspekte.
Und er schloss mit der Frage: Welche drei Optionen des Marken-Inhabers gibt es, wenn er Einfluss nehmen will auf die Preise?
- Die erste Option ist Vorwärtsintegration, der Übergang zu einem integrierten System. Weil diese Distributionssysteme rechtlich bevorzugt werden gegenüber freien und kooperierenden Systemen.
- Die zweite Möglichkeit: Wenn Sie in einem kooperierenden System sind, und das ist immer noch die Mehrzahl, dann müssen Sie wirkungsvolle Überzeugungsarbeit innerhalb des Systems leisten. Und hier geht meine Bitte an unsere Kartellrechtspraxis: Nicht mit einem generellen Kommunikationsverbot im vertikalen System diese Überzeugungsarbeit strangulieren, wenn auch nur am Rande mal über Preise gesprochen wird.
- Und die dritte Lösung, für die ich plädiere und was im Augenblick mein Hauptarbeitsgebiet ist: Das so genannte prospektive Kartellrechtsmanagement. Das heißt: die Befreiung der vertikalen Preiskoordination vom Kartellverbot.
Als Befürworter der „vertikalen Preiskoordination“ hat Prof. Ahlert in Heft 6/2012 BFuP Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis einen Beitrag veröffentlicht: „Chancen und Risiken der vertikalen Preiskoordination“ – Die Deregulierung der Konsumgüterdistribution nach dem Fallklassenansatz.
44 Vortrags-Charts zum Download (pdf 1,7 MB)
Anschließend berichtete Hanns-Thomas Schamel, wie man erfolgreich in einem Familienunternehmen in fünfter Generation mit „Marke und Preis“ umgeht: Schamel Meerrettich. Sein Thema war überschrieben mit: Einsatz für die Glaubwürdigkeit der unverbindlichen Verkaufspreise (UVP).
Schamel ist davon überzeugt, dass gut geführte Marken die Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette tragen; und Preisführung ist ein Teil der Markenführung. Für ihn sind Preise nicht nur Zahlungseinheit, sondern Qualitätsindikatoren. Kunden hätten Sehnsucht nach Vertrauen und Verlässlichkeit. Und konstante Preise geben der Kundschaft die beruhigende Gewissheit, stets das richtige Produkt gekauft und den richtigen Wert erhalten zu haben.
Was ist eigentlich der „richtige“ Preis? Auf diese Frage gab Hanns-Thomas Schamel die Antwort: Der richtige Preis ist immer der, der vom Markenführer in Verantwortung für die langfristige Qualität und die gesamte Wertschöpfungskette kaufmännisch ordentlich kalkuliert, festgelegt und gepflegt wird. Es gibt keinen anderen richtigen Preis. Nirgendwo.
Auf die von seinem Unternehmen praktizierten unverbindlichen Verkaufspreise eingehend, sagte Schamel: Unsere UVP sind kaufmännisch sinnvolle und vernünftige Vorschläge. Unsere Empfehlungen sollen die nachhaltige wirtschaftliche und qualitative Entwicklung der gesamten Wertschöpfungskette sichern und den Kunden die notwenige Verlässlichkeit bei ihrer Kaufentscheidung geben.
Und er schloss mit dem Fazit: Richtig verstandener Kundennutzen besteht nicht in kurzfristig niedrigen Preisen, sondern langfristig gute Qualitäten. Das ist ein Kernsatz, den sich jeder Beteiligte am besten eintätowieren lassen sollte.
In der Diskussion zum zweiten Block „Marke und Preishoheit – Status quo und Ausbruch“ brachte Friedrich Neukirch, Vorsitzender der G·E·M, einen neuen Begriff ein, indem er sagte: Ich will die Aufmerksamkeit mehr auf den Handel als Markenteilnehmer lenken. Ich benutze hier bewusst den Begriff „Marken-Teilnehmer“. Ja, dieser Begriff ist neu, aber er beschreibt genau die Situation, in der wir uns befinden und die wir diskutieren. Waren es in der Ersten Generation der Eigenmarken des Handels die "No-Names" oder "Weißen", dann sind es heute Marken, die die gleichen Mechanismen nutzen wie die Markenartikler. So wurde der Handel durch diese Entwicklung zum Markenteilnehmer.
27 Vortrags-Charts zum Download (pdf 5,4 MB)
Block III:
Streitgespräch – Marken brauchen Preisführung
Durch die Konzentration im Handel hat sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Handels verschoben. Aktuell wird die doppelte Preishoheit des Handels vor dem Hintergrund wachsender Eigenmarken beklagt. Also ungleiche Voraussetzungen bei Hersteller und Handel, wenn es um Preisführung geht.
Im dritten Block des 17. G·E·M Markendialogs „Marken brauchen Preisführung“ hat die G·E·M zu einem Streitgespräch geladen: Hersteller, Handel, Wettbewerbszentrale, Kartellamt, Wissenschaft, Marken- und Rechtsberater, Zeitzeugen und Fachjournalisten.
In zwei Runden diskutieren: Professor Dr. Dieter Ahlert als Betriebswirt; Rechtsanwalt Jan Dietze aus Hamburg; Christian Ewald, Chefökonom des Bundeskartellamtes; Dr. Reiner Münker, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der Wettbewerbszentrale; Friedrich Neukirch, Vorsitzender der Geschäftsführung Klosterfrau Healthcare Group, Köln; Josef Sanktjohanser, 25 Jahre Top-Management REWE, Präsident HDE; Manfred Schmidt, Institut für Markentechnik Genf; Peter Strahlendorf, Chefredakteur Markenartikel – Das Magazin für Markenführung sowie Professor Dr. Christsian Wey, Professor der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wettbewerbs- und Regulierungsökonomie.
Die Moderation lag in den Händen von Professor Dr. Martin Fassnacht, Inhaber des Lehrstuhls für BWL, insbesondere Marketing und Handel, WHU - Otto Beisheim School of Management in Vallendar/Koblenz. Zu seiner Expertise gehören das Preis-Management, Handels-Marketing, Marken-Management und marktorientierte Unternehmensführung.
Alle Beiträge wurden aufgezeichnet. Die Abschriften werden gegenwärtig mit den Teilnehmern am Streitgespräch abgestimmt und in der Mitte Mai 2013 erscheinenden Dokumentation zum 17. G·E·M Markendialog „Marken brauchen Preisführung“ veröffentlicht.
Vorabendveranstaltung
Seit 2004 ist der G·E·M Markendialog flankiert durch eine Vorabendveranstaltung.
Am Vorabend zum 15. G·E·M Markendialog, am 23. Februar 2011, wurde erstmals der »G·E·M Award« für Menschen, die hinter der Marke stehen, für Vordenker auf dem Gebiet des Markenwesens verliehen. Ausgezeichnet mit dem »G·E·M Award 2011« wurde Emil Underberg, mit dem »G·E·M Award 2012« Albert Darboven. Am Vorabend zum 17. G·E·M Markendialog, am 27. Februar 2013, war Preisträger des »G·E·M Award 2013« Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell.
Ausführliche Berichte: www.gem-online.de/award
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Bericht: Notizen von Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Christian Kruppa, Berlin
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