13. G·E·M Markendialog 2009
Marken im Einfluss des Internet
5. März 2009
Zum 13. Mal führte die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V. ihre jährliche Frühjahrsveranstaltung durch, den „G·E·M Markendialog“. Am 5. März 2009 ging es im Harnack-Haus, der Tagungsstätte der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem, um „Marken im Einfluss des Internet“.
Das Thema wurde – wie beim G·E·M Markendialog seit 1997 üblich – in drei Unterthemen gegliedert, zu denen jeweils ein Wissenschaftler und ein Vertreter aus der Unternehmenspraxis sprachen:
1. Spezifische Herausforderungen des Internet an die Markenführung
2. Chancen des Internet für die Markenführung
3. Brand Communities im Web.
Um nach jedem Themenblock mit dem Auditorium unter der Moderation von Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Richard Köhler, Emeritus am Marketing-Seminar der Universität zu Köln, zu diskutieren.
1. Spezifische Herausforderungen des Internet an die Markenführung
Zum ersten Themenblock sprachen Prof. Dr. Marcus Schögel, Universität St. Gallen (Institut für Marketing und Handel), als Vertreter der Wissenschaft und Jörg-Alexander Ellhof, Leiter Internationale Marketing-Kommunikation RENAULT, Frankreich, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Kurzsichtigkeit – so Marcus Schögel – signalisiert so mancher Internet-Approach von Unternehmen heute. Noch immer folgt man dem alten Ansatz „Ich sage Dir etwas und Du hörst zu“. Doch das interaktive Medium Internet zeichnet sich durch Vernetzung aus: Vernetzung der Kunden und Vernetzung der Unternehmen mit den Kunden. Dass man das Medium Internet nicht richtig einordnet, darin lauert Risiko.
Prof. Schögel betrachtete die Herausforderungen des Internet an die Markenführung anhand von fünf Thesen:
1. Interaktive Medien bieten vor allem mittelfristige Effizienzpotenziale
2. Abkehr vom unilateralen Kommunikationsverständnis; das Internet stellt eine vernetzte Kommunikationsstruktur dar
3. Interaktive Medien bieten dem Nutzer weitreichende Einflussmöglichkeiten auf Marken-Inhalte
4. Interaktive Medien bieten Marken, Unternehmen und Kunden die Möglichkeit, Informationen, Meinungen und Inhalte in kürzester Zeit „viral“ zu verbreiten
5. Die „Markenhoheit“ der Unternehmen wird in Frage gestellt.
Das Neue des Internet ist: Konsumenten werden zu Akteuren. Betrachtet man Unternehmensanteil und Kundenanteil am Marktgeschehen, so geht es um eine neue Verteilung der Aufgaben an die Spieler in diesem Feld. Damit sind die Unternehmen in zweifacher Hinsicht gefordert: Zum ersten gilt es Inhalte zu generieren, die Nutzer als attraktiv empfinden und weiterleiten wollen. Zum zweiten folgen virale Effekte den Regeln von Epidemien; ist der Virus einmal gesetzt, kann auf den Verlauf einer Epidemie kaum noch Einfluss genommen werden.
Es ist der Inhalt des Virus, der entscheidet – unterstrich Prof. Schögel. Der Virus muss ohne PR auskommen. In der gegenwärtigen Praxis fehle es oft am kreativen Inhalt. Und: Erst die Unterteilung in Kunden-Segmente lässt die Entscheidung zu, ob für eine Marke virales Marketing richtig ist.
Die ganz zentrale Herausforderung des Internet an die Markenführung sieht Prof. Schögel darin, dass der Kunde die Interaktion treibt. Das Unternehmen verliere die alleinige Markenhoheit.
Jörg-Alexander Ellhof, seit 2001 für Marketing-Kommunikation bei Renault verantwortlich, zeigte, dass Renault Deutschland konsequent in den Herausforderungen des Internet die Chance zur Neuausrichtung der Kommunikations-Aktivitäten sieht und dem Internet eine Leitfunktion, auch für andere Kommunikationsmittel, einräumt. Seine Beispiele waren der Renault Modus und das Thema Renault Sicherheit. Daraus schlussfolgerte er als Herausforderungen des Internet an die Markenführung u.a.:
1. Noch funktionieren die althergebrachten Mechanismen der Markenführung, wie das Einhämmern unrelevanter, nicht differenzierender oder wenig glaubwürdiger Botschaften mittels gesteigertem Werbedruck. Die rasante Ausbreitung des Internet erfordert jedoch Interaktivität, Beschleunigung und Internationalität des Markenauftritts. Wir müssen uns davon verabschieden, nur unsere Botschaften senden zu wollen.
2. Das Internet bringt Transparenz in den Markt und wird zum Marktplatz mit eigenen Regeln. Kunden bestimmen ab sofort selbst, wann und wie lange sie sich mit einer Marke beschäftigen.
3. Klassische Unternehmens- und Agenturmodelle sind auf diese einschneidenden Veränderungen nicht vorbereitet. So denken z.B. Agenturen in ganz anderen Strukturen, wenn sie Botschaften rüberbringen wollen; das sei für das Internet zu langwierig und die Aktivität tötend.
4. Wir tun uns noch schwer, was Markenaufbau und Image im Internet angeht. Die grundlegenden Regeln der Kommunikation bleiben unverändert, nur die Verletzung dieser Regeln wird zukünftig hart bestraft.
2. Chancen des Internet für die Markenführung
Zum zweiten Themenblock sprachen Prof. Dr. Claudia Fantapié Altobelli, Helmut-Schmidt-Universität (Institut für Marketing), Hamburg, als Vertreterin der Wissenschaft, und Dr. Hans-Willi Schroiff, Corporate Vice President Market Research/Business Intelligence, Henkel AG & Co. KGaA, Düsseldorf, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Konkrete Chancen des Internet für die Markenführung sieht Claudia Fantapié Altobelli vor allem in vier Feldern, abhängig von der Art der Marke:
– Verstärkung der Markenpräsenz durch leichte Auffindbarkeit der Produkte und Marken
– Erzielung von Lerneffekten
– Stärkung der Markenbindung
– Erhöhung des Markenvertrauens.
Die Kunden wollen am Kommunikations- und Innovationsprozess beteiligt werden. Die User seien zwar nicht immer viele, dafür aber Multiplikatoren und Verbreiter von Botschaften; darauf basieren virale Kampagnen.
Die Chancen des Internet für die Markenführung insgesamt beleuchtete Claudia Fantapié Altobelli mit fünf Thesen:
1. Mit Hilfe des Internet lassen sich neue Zielgruppen ansprechen. Dabei ist stets auf die Integration von Online- und Offline-Auftritt zu achten, um ein konsistentes Markenbild zu erzeugen.
2. Marken, die ihren Ursprung in der Online-Welt haben, nutzen von Anfang an konsequent das Internet für die Markenführung. Eine Integration des Internet in die Markenführung ist für diese Marken genauso selbstverständlich wie die Nutzung des Web als Vertriebsplattform.
3. Hybride Marken sind bei erfolgreicher Markenführung in der Lage, das mit traditionellen Offline-Brands verbundene Vertrauen in die Marke bei gleichzeitiger emotionaler Bindung an die Marke zu verknüpfen mit online-brand-typischen Eigenschaften; dazu zählen Vernetzungskompetenz, Dialogfähigkeit mit den Usern und Transparenz der Leistung, welche durch die unmittelbare Messbarkeit des Erfolgs mit Zugriffszahlen, Werbeeinnahmen und permanentem User-Feedback gegeben ist.
4. Marken-Kooperationen können die Marke stärken. Möglichst starke Bezüge zwischen den beteiligten Partnern führen dazu, dass das gemeinsam präsentierte Leistungsangebot von Affiliate und Merchant in den Augen des Nutzers als ganzheitliches Leistungsbündel wahrgenommen wird.
5. Die Rolle des Kunden im Wertschöpfungsprozess hat sich verändert; das Internet wird zunehmend zu einem Ort des sozialen Austausches und der Kommunikation. Eine Integration der Kundeninteraktion in die Markenführung kann zur Stabilität der Marken-Kunden-Beziehung beitragen und die Marke nachhaltig stärken.
Prof. Claudia Fantapié Altobelli schloss mit der Warnung: Diffuse Maßnahmen im Internet erzeugen diffuse Markenbilder.
Dr. Hans-Willi Schroiff begann seinen Bericht zu den Chancen des Internet für die Markenführung mit der Bemerkung: Das Internet ist eine neue Plattform für ein altes Geschäft. Zunächst ging es um die Möglichkeit, Kosten zu senken, z.B. in der Marktforschung. Vor allem wurde das Internet gestaltet von technologie-getriebenen Freaks. Immer mehr entwickeln sich Konsumenten zu sog. Prosumern, die Einfluss nehmen auf Produktion und sogar Distribution eines Produktes.
Als langjährig bei Henkel für Market Research Verantwortlicher ging Hans-Willi Schroiff vor allem auf die Chancen ein, die das Internet für die Marktforschung bietet. Er geht davon aus, dass das Internet die Marktforschung dramatisch in zwei Richtungen beeinflussen wird:
– als passives "Listening-In": eine mehr und mehr professionell gestalteten Analyse von Konsumenten-Spuren im Netz, hier fokussiert auf sog. "User Generated Content", also der Analyse von Meinungen und Inhalten, die sich uns als kollektive Produkte aus dem Netzt erschließen
– als aktive "Co-Creation": die sukzessive aktive Partizipation von Konsumenten bei der Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen; hier übertragen teilweise Unternehmen ihren Kunden ganz bewusst einen großen Einfluss bei dem, was letztendlich von Unternehmen angeboten wird.
Und als Schlussfolgerung: Die Marktforschung steht vor einem Paradigmenwechsel. Die neue Plattform Internet bietet uns ungeahnte Möglichkeiten, den Markt zu kennen und zu erfahren.
Hans-Willi Schroiff machte vier Chancenfelder aus, die das Internet für Marken-Hersteller bietet:
1. Das Internet erweitert die Optionen für „konsumenten-zentrierte“ Innovationen
2. Das Internet ist damit zwangsläufig die nächste Stufe von „Sense and Respond“, bei der mehr und mehr Gestaltungsmacht in Richtung Konsument wandert: Aufbau von „user communities“; Verbindung zwischen diesen Communities; Entwicklung einer Technologie, die schnelle Interaktionen zwischen den Mitgliedern der Community und einem Hersteller ermöglicht
3. Das Internet schafft bei Kommunikations-Strategien verbesserte Interaktions-Möglichkeiten
4. Das Internet ermöglicht ein neues Customer Relationship Management.
3. Brand Communities im Web
Der dritte Themenblock war den Brand Communities im Web gewidmet. Es sprachen Prof. Dr. Hans H. Bauer, Universität Mannheim (Lehrstuhl für Allg. BWL und Marketing II), als Vertreter der Wissenschaft, und Lars Wöbcke, Communication & Corporate Marketing Director der Nestlé Deutschland AG, Frankfurt am Main, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Brand Communities haben heute bereits einen entscheidenden Einfluss auf das Markenwahlverhalten von Konsumenten – so Hans H. Bauer. Eine Vielzahl an Konsumenten nutzt inzwischen das Internet, um sich vor dem Kauf über Produkte zu informieren. Dabei werden nicht nur unternehmenseigene Produkt-Webseiten besucht, sondern auch Blogs und Foren, die sich speziell mit einer Marke beschäftigen. Die dort gesammelten Informationen beeinflussen das Markenwahlverhalten.
Konsumenten können auch im Internet fünf verschiedene Stufen von Nutzenstiftungen durch eine Marke erfahren:
– Markenwaren
– Markenartikel
– Positionierte Marken
– Identitätsstiftende Marken
– Mythische Marken.
Für Brand Communities eignen sich besonders identitätsstiftende und mythische Marken als zentrale Bezugsobjekte.
Brand Communities sind stets auf eine bestimmte Marke bezogen. Die Interaktion mit Gleichgesinnten schafft Vertrauen. Wenn hier Negatives kommuniziert wird, kann dies einen Markenwert verringern.
Die positiven und negativen Effekte von Brand Communities entstehen nicht zufällig. Eine Reihe von Einflussfaktoren lässt sich identifizieren, die von Unternehmen gezielt manipuliert werden können, um die positiven Seiten gezielt auszunutzen und die negativen Effekte möglichst zu vermeiden. Prof. Bauer leitet daraus fünf konkrete Ansätze für ein erfolgreiches Brand Community-Management ab:
1. Positives Markenimage schaffen
2. Kundenbelange ernst nehmen
3. Markeneigene Partizipationsforen schaffen
4. Beiträge in Brand Communities zur Weiterentwicklung der Marke nutzen
5. Beiträge in Brand Communities analysieren.
Lars Wöbcke begann seinen Praxisbericht mit der Bemerkung, dass man beim Stichwort Brand Communities oft nicht zuerst an Nahrungsmittel und sonstige Konsumgüter des täglichen Bedarfs denkt; dennoch bieten diese doch in unterschiedlicher Weise zahlreiche Ansatzpunkte für den Einsatz von Brand Communities. Dieser steht bei Nestlé im engen Zusammenhang zu den CRM-Aktivitäten (Customer Relationship Management).
Brand Communities eignen sich für Markenpflege und für Kundenbindung, weniger zur direkten Absatzsteigerung. Die Marke ist die Plattform für Erfahrung.
Bei Nestlé werden die Marken in unterschiedliche Gruppen eingeteilt, die sich nach dem Grad der Einsetzbarkeit von Brand Communities und CRM anhand verschiedener Kriterien unterscheiden. Lars Wöbcke zeigte anhand von Beispielen die jeweilige Rolle von Brand Communities und CRM im Kommunikations-Mix verschiedener Marken-Typen, u.a. Nespresso Club System, Maggi Kochstudio, Nestlé Ernährungsstudio, Nestlé Babyservice, Herta und Wiederbelebung des Yes-Törtchen.
Speziell bei Low involvement-Produkten sind „Aufhänger“ zur Bildung von Brand Communities wichtig.
– So ist der „Umweg“ über ein Thema möglich. Im Fall Herta wählte Nestlé das Thema Natur, Erholung, Lebensqualität, zu dem der Produkt- und Markenbezug für die Community erfolgte.
– Auch Communities auf Zeit gibt es, z.B. für die Zeit der Schwangerschaft der Nestlé Babyservice.
– Beim Nespresso Club System geht es um ein stetes Streben nach größter Kundenzufriedenheit entlang des Lebenszyklus.
Bei Nestlé befindet man sich auf einer Lernkurve, was Brand Communities angeht.
Als allgemeingültige Erfahrung hielt Lars Wöbcke fest: Wer mit Brand Communities arbeitet, muss Kritik aushalten, darf nicht zensieren. Vor allem sei Nachhaltigkeit bei der Entwicklung einer Brand Community angesagt. Es besteht ein weit höherer Anspruch, diesem Medium treu zu bleiben. Jede Kurzfristigkeit strahlt negativ auf die Marke aus.
Vorabendveranstaltung
Auch der diesjährige 13. G·E·M Markendialog war flankiert durch eine Vorabendveranstaltung. Anlässlich des Get together am 4. März 2009 sprach als Gastreferent Hans-Joachim Otto über „Internet als Teil der Medienkultur“.
Hans-Joachim Otto MdB, Mitglied im Bundesvorstand der FDP, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, konstatierte gleich zu Beginn: Das Internet IST in der Tat ein wesentlicher Bestandteil der Medien- und Markenkultur. Aber nicht nur das: Das Internet ist eine zentrale Säule des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Miteinanders insgesamt. Das Internet als „Teil“ der Medienkultur zu bezeichnen, ist in der digitalisierten Welt schon fast untertrieben. Kommunikation – ob individuelle oder Massenkommunikation – läuft bereits jetzt zu großen Teilen über das Internet.
Die heutige Verbreitung von Marken über Medien muss auf Innovationen setzen. Ständig neue Ideen sind gefragt, neue Inhalte, neue Formen der Präsentation dieser Inhalte, neue Wege, auf denen diese Inhalte den Empfänger erreichen. Die Politik hat vor allem den Auftrag, politische Rahmenbedingungen bereitzustellen, die innovative Ideen und Dienste im Internet ermöglichen. Politik sollte den technischen Fortschritt fördern und stützen, nicht ihm ständige hinterher rennen und damit meist bremsen.
Hans-Joachim Otto griff in seinem Vortrag Themen auf, mit denen man sich aktuell im Bundestag beschäftige, die für Menschen, die mit Marken zu tun haben, von Interesse sind, u.a.:
– Eine innovative Marken-Kommunikation oder ein moderner Vertrieb setzen einen entsprechenden Zugang zum Internet voraus. Das gilt nicht nur für den Anbieter, sondern auch für jeden einzelnen Kunden. Auf dem Gebiet der flächendeckenden Versorgung mit Breitbandzugängen hat die Politik noch einige Aufgaben zu erledigen. Oder:
– Die Entwicklung des Internet erfordert ein völliges Undenken beim Schutz von Urheber- und artverwandten Schutzrechten. Oder:
– Wir brauchen dringen professionelle und unabhängige Medienwächter, die auch über den zulässigen Einsatz von Rundfunkgebühren im Medienbereich wachen.
Hans-Joachim Otto schloss seinen Vortrag mit: Das Internet ist Bestandteil, Plattform, Herausforderung und Chance für die Medienwelt insgesamt und für die Markenwelt. Geeignete Rahmenbedingungen müssen von uns Politkern gestaltet werden, Markenforschung, -entwicklung und -kommunikation dagegen sind Ihre Zuständigkeiten.
Bericht: Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Matthias Richter, Friedrichsdorf/Ts.
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Die Dokumentation zum 13. G·E·M Markendialog „Marken im Einfluss des Internet“ mit dem Wortlaut aller Referate (einschl. Charts) und der Diskussionen erscheint Ende Juni 2009.
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