12. G·E·M Markendialog 2008
Wie lassen sich Marken im demographischen Wandel führen?
28. Februar 2008
Zum 12. Mal führte die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V. ihre jährliche Frühjahrsveranstaltung durch, den „G·E·M Markendialog“. Am 28. Februar 2008 gingen im Harnack-Haus, der Tagungsstätte der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem, Wissenschaftler und Unternehmensvertreter gemeinsam der Frage nach: „Wie lassen sich Marken im demographischen Wandel führen?“
Demographischer Wandel – meist wird in diesem Zusammenhang nur die sich verändernde Altersstruktur der Bevölkerung, speziell die Zunahme des Anteils der älteren Menschen diskutiert. Demographischer Wandel aber greift weit umfassender; hier nur einige Stichworte: Zunahme der Lebenserwartung/Lebensdauer, Zunahme einer "age-irrelevant society" (Ursula Lehr), Zunahme der Singles/Ein-Personen-Haushalte, Veränderung des Lebenszyklus, Verkürzung der Familienphase (Ursula Lehr), Zunehmende Mobilität (auch Veränderungen des Wohnortes), vermehrte Vielfalt der Kulturen/Religionen/Sprachen, vermehrt hybrides Verbraucher-Verhalten, Wechsel von Marken/Einkaufsstätten/Lieferanten wird zur Normalität.
Vor diesem weit greifenden Hintergrund eines demographischen Wandels wurde das Thema des 12. G·E·M Markendialoges analysiert: Wie lassen sich Marken im demographischen Wandel führen? Das Thema wurde – wie beim G·E·M Markendialog seit 1997 üblich – in drei Unterthemen gegliedert, zu denen jeweils ein Wissenschaftler und ein Unternehmensführer sprachen:
1. Markenwechsel im Lebenszyklus der Nachfrager
2. Lebenslange Markenbindung
3. Herausforderungen an die Marken-Kommunikation.
Um dann mit dem Auditorium unter der Moderation von Prof. Dr. Dr. h.c. Richard Köhler, Emeritus am Marketing-Seminar der Universität zu Köln, zu diskutieren.
1. Markenwechsel im Lebenszyklus der Nachfrager
Zum ersten Themenblock sprachen Prof. Dr. Nicole Koschate, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (GfK-Lehrstuhl für Marketing Intelligence), als Vertreterin der Wissenschaft, und Jens Lönneker, Diplom-Psychologe, Geschäftsführer rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen GmbH & Co. KG, Köln, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Marken-Wechsel sind – so Nicole Koschate – ein Ausdruck fehlender Marken-Treue. Sie können über den gesamten Lebenszyklus der Nachfrager auftreten. Hierbei spielen der Einfluss von Kunden-Merkmalen, Strategien des Marketing-Mix sowie gesellschaftlich und umweltbedingte Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle.
Ein Marken-Wechsel könne aber auch ausgelöst werden durch
– einen Wechsel in der Lebenszyklusphase eines Haushaltes und
– einschneidende Lebensereignisse.
Beides führt zu einer Veränderung der Marken- wie auch der Einkaufsstätten-Präferenzen.
Kunden, die sich in einer Phase des Wechsels befinden, weisen eine erhöhte Aufnahmebereitschaft für Marketing-Aktivitäten auf. Hieraus ergeben sich Chancen für Unternehmen, durch gezielte Marketing-Aktivitäten auf Änderungen der Lebensverhältnisse bei Kunden einzugehen. In Übergangsphasen besteht zum Beispiel verstärkt die Möglichkeit, Kunden von Konkurrenz-Marken abzuwerben oder auch neue Angebote zu unterbreiten. Es besteht aber auch ein erhöhtes Risiko, bisher loyale Kunden zu verlieren.
Jens Lönneker reflektierte – auf Basis seiner 20-jährigen qualitativen Marktforschung –, wie der demographische Wandel auch klassische Marken-Konzepte auf den Prüfstand stellt: Marken sind psychologische Markierungen. Im Wandel der Zeit können Markierungen an Bedeutung gewinnen und verlieren. Die Markenführung muss folglich „Markierung“ und „Markiertes“ immer wieder kalibrieren (auf genaues Maß bringen), um Fehlentwicklungen zu vermeiden.
Marken müssen sich paradoxerweise entwickeln, um sich zu erhalten. Und sie müssen sich eine Gestalt geben, um sich zu entwickeln. Wenn sich die ganze Gesellschaft demographisch wandelt, dann wird von Marken erwartet, dass sie „gute Wege markieren“, um die mit dem Wandel verbundenen Ängste zu bekämpfen.
Das Hauptproblem unserer Zeit besteht nach Lönneker darin, dass die heutigen Generationen die Kraft der Marke entdeckt und überstrapaziert haben. In den letzten Jahrzehnten ist die Kraft von Marken so stark bei der Vermarktung von Produkten genutzt worden, dass es zu einer Marken-Inflation gekommen ist. Wie in einem Schilderwald im Straßenverkehr wird dadurch nicht mehr wirklich ein Beitrag zur Orientierung geleistet; es kommt aus der Sicht der Konsumenten zu einem „Marken-Flimmern“. Die nun heranwachsenden Konsumenten suchen nach neuen Formen der Orientierung und Markierung. Als Maßnahme empfiehlt Jens Lönneker: das Ubiquitätsprinzip (Überall- Erhältlichkeit der Marke) aufgeben. Das Angebot verknappen, wieder die Begehrlichkeit der Marke aufbauen.
2. Lebenslange Markenbindung
Zum zweiten Themenblock sprachen Prof. Dr. Andrea Gröppel-Klein, Universität des Saarlandes, Saarbücken (Institut für Konsum- und Verhaltensforschung), als Vertreterin der Wissenschaft, und Sebastian Schwanhäußer, Managing Director Schwanhäußer Industrie Holding GmbH & Co. KG (Schwan-STABILO), Heroldsberg, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Lebenslange Markenbindung kann – so formulierte es Andrea Gröppel-Klein – auf zweifache Weise interpretiert werden: Im engeren Sinne sei damit gemeint, dass sich ein Kunde ein Leben lang an ein und dieselbe Marke bindet und damit bewusst und freiwillig auf andere Wahlmöglichkeiten verzichtet; im weiteren Sinne kann lebenslange Markenbindung auch so verstanden werden, dass es einem Hersteller gelingt, eine (Dach-)Marke als ein attraktives Angebot für jede Lebensphase des Kunden darzustellen, so dass nicht unbedingt ein und derselbe Kunde über 60, 70 Jahre sich an die Marke gebunden fühlt, sondern dass die Marke Menschen aus allen unterschiedlichen Lebensphasen bindet.
Schon im Kindesalter bauen Konsumenten emotionale Beziehungen zur Marken auf, was ebenso für Produktkategorien, die sie noch nicht selbst nutzen, zutrifft. Jugendliche wollen Spaß am Leben haben, möchten viel Neues erleben und erlernen; deshalb muss ihnen eine Marke auch starke Erlebnisse bieten. An der Schwelle zum jungen Erwachsenen kann ein Marken-Antagonismus entstehen oder sogar „Brand Devotion“. Im jungen Erwachsenenalter ist die „optische“ Attraktivität der Marke von besonderer Bedeutung.
Von nun an kann die (lebenslange) Markenbeziehung auch mit einer “Ehe“ verglichen werden, bei der man sich (in der Regel) freiwillig an einen Partner bindet. Dabei ist am Anfang vor allem die physische Attraktivität von Bedeutung, erst dann werden die „qualitativen Eigenschaften“ wichtiger; nach einigen Jahren kommt das Vertrauen und das sich lieben Lernen auch in Kenntnis der Schwächen des anderen hinzu, wodurch eine lange, stabile Beziehung entsteht, die auch auftretende Fehler verzeiht. Eine gute Ehe ist jedoch auch von der Gesprächsbereitschaft des Paares abhängig: die Marke muss immer wieder auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden eingehen, die sich im Lauf der Zeit durchaus ändern können; wobei diese kommuniziert werden müssen, sonst kommt es zum „Ehebruch“ bzw. zum „Variety Seeking“, zur Abwanderung zu anderen Marken.
Ebenfalls können sich „kritische Lebensereignisse“ („life events“) wie Geburt eines Kindes, Todesfälle in der Familie, Ortswechsel, berufliche Veränderungen etc. auf bisherige Markenbindungen auswirken. In diesen kritischen Lebenslagen können vertraute Marken dem Individuum aber auch Halt geben.
Bei Erwachsenen im mittleren Alter kann das Gefühl entstehen, sie müssten ihre verlorene Zeit wieder aufholen und sich selbst neu entdecken. Bisherige Marken-Beziehungen werden aufgelöst.
Ein wichtiges Live-Event stellt der Eintritt in das Rentenalter, in den dritten Lebensabschnitt dar. Neue gerontologische Erkenntnisse zeigen, dass ältere Menschen bis zu ihrem 80. Lebensjahr bei entsprechendem Training geistig genauso leistungsfähig sind wie 50-Jährige. Wenn man also älteren Konsumenten unterstellt, sie seien per se „markentreu“, da sie nicht mehr geistig flexibel oder nicht mehr in der Lage seien, Informationen über neue Produkte und Marken zu verarbeiten, so irrt man gewaltig. Der Marke muss es gelingen, auch für ältere Konsumenten „meaningful“ zu sein; sonst kann das Ende der Markenbindung drohen.
Wenn sich bei Konsumenten in der Jugend einprägt, dass die Marke für junge Konsumenten begehrenswert ist, wenngleich auch ältere die Marke kaufen und nutzen, dann ist eine lebenslange Markenbindung möglich.
Sebastian Schwanhäußer definierte Markenbindung bewusst als Markentreue und zeigte am Beispiel STABILO, dass eine Marke in allen Lebensabschnitten Markentreue für sich in Anspruch nehmen kann, wenn sich die Kommunikation auf die unterschiedlichen Lebenslagen einstellt:
– STABILO positioniert sich erfolgreich als einzige Lifestyle-Marke im Schreibgeräte-Universum.
– Durch die hohe Attraktivität der Marke verfügt STABILO über eine hohe Marken-Loyalität, die zu einem Erfolgstreiber der Unternehmensausrichtung wird.
– Durch eine strategische Neu-Ausrichtung des Produkt-Portfolios werden bereits jüngste Zielgruppen an die Marke herangeführt und erhalten werbliche Anstöße. Durch Multi-Channel-Marketing werden auch Entscheider-Zielgruppen wie Lehrer, Eltern und Journalisten vom STABILO-Marken-Versprechen überzeugt.
– Die Strategie „STABILO for Life“ begleitet unsere Kunden vom Kindergarten über Schule und Uni bis in den Beruf. Das STABILO-Leistungs-Versprechen: Ein STABILO-Stift in der Hand gibt dir die Sicherheit und das Vertrauen, um in jeder Lebenslage Erfolg zu haben!
3. Herausforderungen an die Marken-Kommunikation
Der dritte Themenblock gehörte den Herausforderungen, die sich aus dem demographischen Wandel für die Marken-Kommunikation ergeben. Es sprachen Prof. Dr. Tobias Langner, Bergische Universität Wuppertal (Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing), als Vertreter der Wissenschaft, und Dr. Peter Haller, Geschäftsführer Serviceplan Gruppe für innovative Kommunikation GmbH & Co. KG, München, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Der demographische Wandel und die dadurch entstehenden Herausforderungen für die Marken-Kommunikation ist – so Tobias Langner – gekennzeichnet von Phänomenen und Gegensätzen:
– So gewinnt die soziale Vernetzung vor allem der jüngeren Zielgruppen (beispielsweise über StudiVZ, ICQ, MySpace) immer mehr an Bedeutung.
– Ein weiteres unter jüngeren Konsumenten zu beobachtendes Phänomen ist die Medien-Parallelität: die gleichzeitige Nutzung mehrerer Medien (z.B. der Fernseher läuft während im Internet gesurft wird). Im Gegensatz zur jüngeren herrscht bei der älteren Zielgruppe das Phänomen Medien-Singularität vor; die ältere Zielgruppe konsumiert meist nur ein Medium zu einem Zeitpunkt.
– Ein immer relevanter werdendes Phänomen für die Marken-Kommunikation ist die Partizipation in Communities und die dadurch entstehende entkoppelte Kommunikation über Marken, die nur noch begrenzt unter der Kontrolle der Marken-Verantwortlichen liegt.
– Ein bereits seit Jahren wachsendes Phänomen ist die massenmediale Beschleunigung: Viele Marken-Kontakte erfolgen nur noch unter einem sehr geringen Involvement und mit sehr geringen Betrachtungszeiten. Eine solche Beschleunigung ist auch beim Einkaufsverhalten zu beobachten. Auf der anderen Seite zeigt sich aber auch das Phänomen der Entschleunigung: Beispielsweise verweilen 38% der Besucher der VW-Autostadt mindestens einen halben Tag; hier ergibt sich eine Vielzahl an wertvollen Kontakten für die Marke.
Vor diesem Hintergrund zeigte Prof. Langner die Zugänge für die Gestaltung einer effektiven Marken-Kommunikation auf:
– Die zentrale strategische Aufgabe der Markenführung ist die Entwicklung einer zielgruppenrelevanten Marken-Positionierung (Markenrelevanz).
– Auf der Umsetzungsebene besteht die zentrale Herausforderung darin, die Marken-Positionierung durch die Marken-Kommunikation zielgruppenspezifisch umzusetzen und Markenakzeptanz innerhalb der relevanten Zielgruppen zu erreichen.
Dies bedeute, dass sich im Zuge einer angestrebten Gesamtmarktabdeckung für ein Unternehmen drei mögliche Konstellationen im Bezug auf Markenrelevanz und Markenakzeptanz ergeben:
(1) Hier liegt eine Positionierung vor, die für unterschiedliche, auch heterogene Zielgruppen relevant ist. Auch ist es möglich über eine einheitliche Kommunikation eine Markenakzeptanz in unterschiedlichen Zielgruppen zu erreichen. Die Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen mit einer einheitlichen Kommunikation stellt hierbei eine besondere Herausforderung dar. Häufig wird der Fehler einer einseitigen Zielgruppenansprache begangen. Einzelne Sub-Zielgruppen werden durch die Ansprache vernachlässigt, wodurch die Markenakzeptanz in diesen Sub-Zielgruppen leidet. Beispielsweise werden ältere Zielgruppen durch eine zu jugendliche Marken-Kommunikation nicht angesprochen.
(2) Hier ist die Markenpositionierung ebenfalls für ein breites Publikum relevant. Es besteht allerdings die Notwendigkeit einer zielgruppenspezifischen Markenumsetzung. Zentrale Herausforderung ist, die einheitliche Positionierung in (mehrere) zielgruppenadäquate Botschaften zu transformieren, um so in allen Zielgruppen eine hohe Markenakzeptanz zu erzeugen. Eine zentrale Gefahr liegt in dem Entstehen einer Markenverwässerung. Die zielgruppenspezifischen Botschaften müssen zum einen die Markenpositionierung wahrnehmbar vermitteln, zum anderen die gemeinsame Markenklammer hinreichend erkennbar machen.
(3) Hier ist die Markenpositionierung nur für eine bestimmte Zielgruppe des Gesamtmarktes relevant. Eine Gesamtmarktabdeckung kann zum einen über eine Dachmarkenstrategie mit entsprechenden Sub-Brands erfolgen oder über das Verfolgen einer Mehrmarkenstrategie. Die größte Herausforderung im Rahmen der Dachmarkenstrategie liegt darin, einer Verwässerung der Dachmarke durch inkompatible Sub-Brand Positionierungen und zersplitterten Zielgruppenansprachen vorzubeugen. Im Zuge der Mehrmarkenstrategie gilt es vor allem, die Marken-Kannibalisierung zwischen den Sub-Brands möglichst gering zu halten.
Dr. Peter Haller begann seine Ausführungen zur Markt- und Unternehmenspraxis mit der kritischen Anmerkung, dass die Markenführungs-Praxis in den letzten Jahren mit den rasanten Veränderungen der Marktstrukturen und der Medienlandschaft nicht mitgehalten habe. Dies zeige sich zum Beispiel beim Thema „Markenloyalität“: Laut aktueller Umfrage gehen gut 80 Prozent der größten Werbungtreibenden in Deutschland davon aus, dass die Markenloyalität in den vergangenen drei Jahren stabil geblieben sei oder sogar wachse. Die Realität (GfK Consumer Panel) aber zeigt, dass eine FMCG-Marke (Fast Mooving Consumer Goods) im Durchschnitt p.a. ein Drittel ihrer Stammkunden verliert.
Peter Haller empfahl eine Neuorientierung der Markenführung mit u.a. folgenden Ansätzen:
– Mehr Produktdifferenzierung bei Innovationen, um Stammkunden zu Wiederholungskäufen zu führen
– Mehr Dialog mit der Zielgruppe über Dialog-Medien und nicht nur Informationen und Emotionen über klassische Medien platzieren
– Die Zielgruppen-Definition von der Soziodemographie (20- bis 49-Jährige als TV-Zielgruppe) auf Käufer/Verwender umstellen
– Kunden-Bindung in der Priorität vor Kunden-Gewinnung stellen, will man eine Marke in Zukunft effizienter führen, d.h. den Anteil der First Choice Buyer halten und ausbauen und nicht den Fokus ausschließlich auf die Gewinnung von Neukunden richten.
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Eine vollständige Wiedergabe der Vorträge und der sich anschließenden Diskussionen des 12. G·E·M Markendialog „Wie lassen sich Marken im demographischen Wandel führen?“ enthält die Dokumentation, die im Juni 2008 erscheint.
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Vorabendveranstaltung
Auch der diesjährige 12. G·E·M Markendialog war flankiert durch eine Vorabendveranstaltung. Anlässlich des Get together am 27. Februar 2008 sprach als Gastreferent Abtprimas Notker Wolf, Rom, über „Wandel der Werte in der Gesellschaft“.
Dr. Notker Wolf (Jahrgang 1940), höchster Repräsentant des Benediktinerordens, spannte den Bogen sehr weit. Er ging von der Wertebasis im Abendland aus, streifte die Französische ebenso wie die 1968er Revolution, die andere Werte hochkommen ließen; uns seien Werte wie Fleiß, Anstand, Zuverlässigkeit, Präzision und Persönlichkeit verloren gegangen. Und er warf einen Blick auf die vor uns liegende Globalisierung, mit der ein Werte-Wandel auf uns zukommen wird. Seine Stichworte: Unsere abendländischen Werte werden vom Islam in Frage gestellt; China respektiert unsere westlichen Werte nicht; das Streben nach Macht in einer Hand.
Wir brauchen ein paar Grundwerte, so die Grundthese von Abtprimas Notker Wolf, und führte dazu aus: Ein Wert ist immer bezogen auf den Menschen. Aber der Mensch wandelt sich; da kann sich etwas ändern. Wie sieht es heute zum Beispiel mit Treue oder Ehrlichkeit aus? Es muss Dinge geben, die sich nicht ändern. Grundwerte muss es geben. Zum Beispiel Liebe und Gerechtigkeit, Dankbarkeit und Höflichkeit. Es muss Werte geben, die die Menschen zur Entfaltung bringen. Die Werte müssen immer auf den Menschen bezogen sein. Alles muss zur Humanisierung unseres Lebens führen.
Notker Wolf: Es gibt einen Werte-Wandel, aber er wird einfach so hingenommen. Was tun? Werte einfordern. Ansetzen muss das in den Familien, in der Kindheit. Im einzelnen Menschen gibt es ein Werte-Empfinden, aber es muss entfaltet werden. Wir müssen die Menschen heranführen an die Werte. Werte müssen erlebt und deshalb vorgelebt werden. Aber wir müssen dabei auch den Mut haben, einmal unbequeme Dinge sagen zu dürfen; hier braucht es charakterstarke, gelassene Typen. Und weiter: Werte müssen aufgebaut werden, insbesondere junge Menschen müssen einen Wert erfahren. Beispiel: Ehrlichkeit führt dazu, dass ich hinterher ein gutes Gefühl habe; gleiches gilt für den Fleiß.
Dr. Notker Wolf plädiert dafür, dass wir durch mehr Freiheit eine zukunftsorientierte Gesellschaft werden können. Jedoch: Jeder einzelne Mensch ist nicht nur für sich verantwortlich, sondern auch für das Gemeinwesen. Hier gilt es, das rechte Maß zu finden.
Bericht: Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Matthias Richter, Friedrichsdorf/Ts.