11. G·E·M Markendialog 2007
Auf welchen Wegen mit Marken wachsen?
22. Februar 2007
Zum 11. Mal führte die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V. ihre jährlich Ende Februar stattfindende Frühjahrsveranstaltung durch, den "G·E·M Markendialog". Am 22. Februar 2007 gingen in Frankfurt am Main Wissenschaftler und Unternehmensvertreter gemeinsam der Frage nach: "Auf welchen Wegen mit Marken wachsen?"
Das Thema wurde - wie beim G·E·M Markendialog seit 1997 üblich - in drei Unterthemen gegliedert, zu denen jeweils ein Wissenschaftler und ein Unternehmensführer sprachen. Um dann mit dem Auditorium unter der Moderation von Prof. Dr. Dr. hc. Richard Köhler, Emeritus am Marketing-Seminar der Universität zu Köln, zu diskutieren.
Als die drei Wege, auf denen mit Marken Wachstum möglich ist, wurden behandelt:
1. Markenerzeugnisse international anbieten und dafür konzipieren - Internationalisierung.
2. Die Wertschöpfungskette der Marke bis zum Kunden durchsteuern - Vertikalisierung.
3. Ausdehnung des Markenangebotes auf bedürfnisverwandte Bereiche - Horizontalisierung.
1. Internationalisierung
Zum ersten Themenblock - Wachstum durch Marken-Internationalisierung - sprachen Prof. Dr. Markus Voeth, Universität Hohenheim (Institut für Betriebswirtschaftslehre, Lehrstuhl für Marketing), als Vertreter der Wissenschaft, und Frank Winter, General Manager Lexus bei Toyota Deutschland GmbH, Frankfurt am Main, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Marken-Internationalisierung ist - so Professor Voeth in seinen einführenden Bemerkungen - eine strategische Entscheidung: Will ich mit meiner Marke international werden? Ob und wie? Wobei sich die Frage nach dem "ob" heute eigentlich nicht mehr stellt. Marken-Internationalisierung kann aufgrund von externen und internen Treibern erfolgen; wichtigster externer Treiber ist die Angleichung von Lebensstil und Konsumgewohnheiten unterschiedlicher Ländermärkte. Bei der Umsetzung ist sorgfältig zu prüfen, ob die internationale Marke standardisiert oder differenziert zu führen ist. Prof. Voeth fasste seine Gedanken zur Internationalisierung von Marken in sechs Thesen zusammen:
(1) Die branchenübergreifend zunehmende Internationalisierung von Geschäftstätigkeiten stellt vor allem auch ein Problem der Marken-Internationalisierung dar. Allerdings hat sich die Marketing-Wissenschaft diesem Thema noch nicht ausreichend zugewandt.
(2) Die Analyse von Praxis-Beispielen zeigt, dass eine erfolgreiche Marken-Internationalisierung nicht immer identisch abläuft. Stattdessen bedarf es eines "systematischen Internationalisierungs-Managements" für Marken.
(3) Unabhängig von der Ausgangssituation (internationale Marken-Evolution oder internationale Marken-Akquisition) stellt sich im strategischen Internationalisierungs-Management für Marken die Grundfrage der Differenzierung oder Standardisierung internationaler Marken. Beide Grundstrategien weisen Vor- und Nachteile auf. Allerdings gewinnen die Standardisierungsvorteile in vielen Märkten im Zeitablauf deutlich an Gewicht.
(4) Trotzdem ist im Einzelfall unter Berücksichtigung rechtlicher, allgemein wirtschaftlicher sowie marken- und markierungsbezogener Faktoren zu prüfen (z.B. "Brand Internationalization Board: BIB), ob eine Marken-Standardisierung wirklich sinnvoll ist.
(5) Sofern eine internationale Marken-Standardisierung durchgeführt werden soll, steht die Gestaltung des Standardisierungs-Prozesses im Vordergrund des operativen Internationalisierungs-Managements. Hier ist eine Marken-Übernahme häufig einer Marken-Eroberung vorzuziehen.
(6) Zur erfolgreichen Führung international standardisierter Marken gehört dann, dass anschließend die länderspezifischen Marken-Images bei standardisierten Marken permanent abgeglichen werden. Dies kann mit Hilfe von "internationalen Markenpersönlichkeitsskalen" vollzogen werden.
Frank Winter zeigte am Beispiel der Premium-Automobilmarke "Lexus", welche Probleme bei der Internationalisierung zu beachten und zu behandeln sind. Unbedingte Voraussetzung für den globalen Wettbewerb sei eine klare Marken-Identität. Und im deutschen Markt geht es darum, eine internationale Marke fein zu justieren. Die Ausführungen von Frank Winter basierten auf vier Thesen:
(1) Auch Premium-Marken haben unterschiedliche Erfolgsparameter in unterschiedlichen Märkten.
(2) Das Lexus-Geschäftsmodell wurde im Original für eine spezifische Markt-/Kundensituation entworfen.
(3) Diese Fokussierung war Erfolgsgrund und zugleich Limitierung in anderen Regionen.
(4) Das asiatische und europäische Verständnis für Facetten einer Premium-Marke sind einander näher als das europäische und das amerikanische.
2. Vertikalisierung
Zum zweiten Themenblock - Wachstum durch Marken-Vertikalisierung - sprachen Prof. Dr. Joachim Zentes, Universität des Saarlandes, Saarbücken (Institut für Handel und internationales Marketing), als Vertreter der Wissenschaft, und Axel Bree, Geschäftsführer BREE Collection GmbH & Co. KG, Isernhagen, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Dem Wachstum durch Marken-Vertikalisierung bietet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Professor Zentes systematisierte nach integrativen und vertikal-kooperativen Distributionsformen, realisiert als Einzelerscheinungen (z.B. shop-in-shop, Depotsysteme, Internet) oder als Multi-Channel-System. Vier Grundgedanken lagen seinen Ausführungen zugrunde:
(1) Während die Konsumgüter-Hersteller mit Blick auf die Wertschöpfungskette "up-stream" outsorcen, zeichnet sich "down-stream" ein Insourcing durch absatzmarkt-orientierte Vertikalisierung ab. Als wichtigstes Ziel dieser Vertikalisierung ist die langfristige Sicherung des Absatzkanals zu nennen.
(2) Wenngleich Vertikalisierung an sich kein neuartiges Phänomen ist, zeigt sich in den letzten Jahren und wohl auch künftig ein starkes Anwachsen dieser Form der Distribution in den unterschiedlichsten Branchen.
(3) Innerhalb der vertikal-kooperativen Distributionsformen (Controlled Distribution) ist ein Trend von "losen Kontraktvertriebsformen" wie Corner-Konzepte und Shop-in-Shop-Konzepte hin zu "straffen Systemen" wie Franchising festzustellen. Gleichermaßen streben die Konsumgüter-Hersteller in steigendem Maße nach integrativen Distributionsformen (Secured Distribution), die ihnen weitestgehende Möglichkeiten der durchgängigen Umsetzung ihrer Marketing-Konzeptionen eröffnen; dies schließt die Preishoheit ein.
(4) Offene Fragen des Distributionskanal-Managements sind u.a. die zulässige "Distributions-Dehnung (analog zur Marken-Dehnung), d.h. die Frage der Verträglichkeit eines gegebenenfalls breiten Spektrums von Outlets, die von Flagship-Stores bis zu Factory-Outlets reichen mit dem Image der Marke sowie die Frage der optimalen Distributionsstruktur, die im Spannungsfeld von Transaktions-Kosten einerseits und Umsetzungsmöglichkeiten der Marketing-Konzeption andererseits begründet sind.
Axel Bree, der das Unternehmen BREE Collection seit Anfang 2001 mit seinem Bruder gemeinsam in zweiter Generation führt, zeigte mit Blick auf die BREE-Welt, wie Marken-Vertikalisierung in der Praxis aussieht. BREE ist für ihn die Marke fürs Leben, immer eine Idee voraus. Taschen, Taschen, Taschen und das auf drei Kontinenten. In die Vertikalisierung, so sagte er, wurde das Unternehmen getrieben. Die Unzufriedenheit mit der Präsentation der BREE Collection im Handel war Anlass, den direkten Kontakt zu Kundin und Kunde zu schaffen. Wie kann ich alle unsere Produkte so präsentieren, wie es unsere Premium-Marke verlangt. Die zentrale Herausforderung, die damit entstand: Eine Einzelhandels-Kompetenz im eigenen Hause aufbauen. Denken als Einzelhändler und dafür die entsprechenden Strukturen schaffen.
Umgesetzt hat BREE die Vertikalisierung als Multil-Channel-System: Franchise-Partner, Filialen, Shop-in-Shop, Facheinzelhandel, Flächen-Partnerschaften, Fabrik-Verkauf und e-Shop. Nach Axel Bree ist fast keine erfolgreiche Fashion-Marke ohne eigenen Vertrieb. Es braucht die Kompetenz über die gesamte Wertschöpfungskette.
Ein Gedanke, den Axel Bree bei seinen Darstellungen seines Geschäftsmodells immer wieder durchblicken ließ: Menschen machen den Unterschied.
3. Horizontalisierung
Zum dritten Themenblock - Wachstum durch Marken-Horizontalisierung - sprachen Prof. Dr. Dr. hc. Christian Homburg, Universität Mannheim (Institut für Marktorientierte Unternehmensführung), als Vertreter der Wissenschaft, und Jürgen Plüss, ehem. Leiter Marketing Miele & Cie., Gütersloh, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Marken-Horizontalisierung ist für Professor Homburg "Aufnahme zusätzlicher, komplementärer Tätigkeitsfelder unter einer Marke". Ist damit Marken-Transfer, Marken-Dehnung. Heute sei sie die (!) strategische Variante im Neuproduktebereich. Seine Ausführungen fasste Professor Homburg in sieben Thesen zusammen:
(1) Die Horizontalisierung von Marken dient der Erschließung neuer Kundengruppen und Märkte und soll zur Steigerung von Wachstum, Umsatz und Gewinn beitragen.
(2) Die weitaus größte Zahl von Neuprodukteinführungen erfolgt unter Verwendung einer Marken-Transfer-Strategie. Deren Flopraten sind hoch.
(3) Eine Marken-Transfer-Strategie bietet sowohl Chancen für das Transfer-Produkt (hinsichtlich der Konsumenten, des Handels und des Unternehmens) als auch für die Stamm-Marke.
(4) Eine Marken-Transfer-Strategie birgt Risiken sowohl für das Transfer-Produkt als auch für die Stamm-Marke.
(5) Es gibt zahlreiche Erfolgsfaktoren von Marken-Transfers. Sie beziehen sich auf Mutter-Marke, Transfer-Produkt, Beziehung zischen Mutter-Marke und Transfer-Produkt sowie Unternehmens-Charakteristika.
(6) Zentrale Erfolgsfaktoren sind Fit zwischen Mutter-Marke und Transfer-Produkt sowie Mutter-Marken-Stärke.
(7) Zentrale Studien zu Marken-Transfers betrachten die Erzielung eines Preis-Premiums, Bedeutung und Einfluss der Preispolitik sowie die Bewertung von sich überkreuzenden Marken-Transfers.
Jürgen Plüss analysierte und interpretierte Marken-Horizontalisierung anhand der Marken-Beispiele Miele, Nivea, B&O, Porsche, Nespresso, Montblanc, BOSS und Apple. Ausgehend von seiner Beschreibung von Marke als monogame Liebesbeziehung, die nicht gestört werden darf, sieht er in der Marken-Horizontalisierung das Risiko, eine Marke unscharf zu machen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Horizontalisierung seien ein Wechsel vom Produkt-Denken zum System-Denken, vom Produkt-Management zum System-Management. Seine acht zusammenfassenden Thesen zum "Wachstum durch Horizontalisierung" sind:
(1) Wachstum ist das Überlebens-Gen der Wirtschaft.
(2) Im Vorteil schneller Wachstumsoptionen stecken oft bleibende Nachteile für die Attraktivität der Marke.
(3) Die Wachstums-Strategie Horizontalisierung ist die Königsdisziplin des Marken-Managements. Sie vereint die Chance eines enormen Wachstumspotenzials mit dem Risiko, die Marke unscharf zu machen.
(4) Horizontalisierung bedeutet nicht Wachstum durch Diversifikation in Geschäfts- oder Leistungsfelder außerhalb besetzter Produkt- oder Bedürfniskategorien.
(5) Horizontalisierung ist mehr als Marken- oder Angebotsdehnung in Form von Variantenwachstum.
(6) Horizontalisierung als Wachstums-Strategie bedeutet die Ausschöpfung verfügbarer Potenziale innerhalb einer Produkt-, Leistungs- und/oder Bedürfniskategorie.
(7) Erfolgreiche Horizontalisierungs-Strategien bedürfen intensiver Chancen- und Risiko-Prüfungen.
(8) Erfolgreiche Horizontalisierungs-Strategien basieren auf einem Bündel von Voraussetzungen, u.a. Zeit, Kapital, Management-Kapazität und Vertrauen der Kapitalgeber.
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Eine vollständige Wiedergabe der Vorträge und der sich anschließenden Diskussionen des 11. G·E·M Markendialog "Auf welchen Wegen mit Marken wachsen?" enthält die Dokumentation, die zum Preis von 10,00 EUR plus Versand erhältlich ist im
G·E·M Book Shop.
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Vorabendveranstaltung
Auch der diesjährige 11. G·E·M Markendialog war flankiert durch eine Vorabendveranstaltung. Anlässlich des Get together am 21. Februar 2007 sprach als Gastreferent Prof. Dr. Alexander Deichsel, Emeritus Institut für Soziologie an der Universität Hamburg, Mitglied des Direktoriums des Institut für Markentechnik Genf, über "Die Grenzen des Wachstums einer Marke".
Professor Deichsel stellte seinen Überlegungen voran, dass alle Lebewesen wachsen wollen. Ist Grenze dabei nur negativ zu sehen? Grenze habe noch einen anderen Akzent: selber eine Grenze setzen im Sinne von selbst die eigenen Bedingungen setzen. Dann wird Begrenzung zu einem Mittel, einem Instrument, das eigene Leistungsgefüge zu kräftigen. Durch einen solchen Willen entsteht ein Territorium, z.B. ein vertriebstechnisches Territorium.
Anders beim Territorium eines Marken-Willens. Dieser lässt sich nicht einfach bestimmen, er wird bestimmt durch die Kundschaft. Eine Grenze, die hier trennt, zieht an! Sie zieht in dem Maße an, in dem die Grenze einen Leistungszusammenhang klar beschreibt. Je prägnanter, eigenwilliger, geschichtlich unverwechselbarer und im Tagesgeschäft durchsetzungskräftiger eine Leistung ist, desto stärker die Anziehung. Hier wird Grenze ein Instrument, ein Markenwesen zu führen. Das "Draußen" im Markt, die Kundschaft, erkennt die Grenze und schätzt diese.
Jedes Unternehmen müsse Grenzwille erzeugen, so Deichsel, und diesen konsequent bewahren. Um das eigene Leistungsangebot, die Marke, zu kräftigen, für die gemeinte Kundschaft attraktiv zu machen.
Was Professor Deichsel zu der Schlussfolgerung führte: Wachstum durch Grenzwille, Wachstum durch Grenz-Management.
Bericht: Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Matthias Richter, Friedrichsdorf/Ts.