10. G·E·M Markendialog 2006
Wo lauern Gefahren für die Marke?
23. Februar 2006
Zum 10. Mal führte die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V. ihre jährlich Ende Februar in Frankfurt am Main stattfindende Frühjahrsveranstaltung durch, den "G·E·M Markendialog". Am 23. Februar 2006 gingen Wissenschaftler und Unternehmensvertreter gemeinsam mit den rund einhundert Teilnehmern der Frage nach: "Wo lauern Gefahren für die Marke?"
Das Thema wurde - wie beim G·E·M Markendialog seit 1997 üblich - in drei Unterthemen gegliedert, zu denen jeweils ein Wissenschaftler und ein Unternehmensvertreter sprachen. Um dann mit dem Auditorium unter der Moderation von Prof. Dr. Dr.hc. Richard Köhler (Marketing-Seminar der Universität zu Köln) intensiv zu diskutieren.
1. Gefahren von innen (Fallstricke in der Markenführung)
Zum ersten Themenblock - Gefahren für die Marke, die innerhalb des Unternehmens lauern - sprachen Prof. Dr. Christian Blümelhuber, Université Libre de Bruxelles, als Vertreter der Wissenschaft, und Hans G. Güldenberg, brandCreation, Frankfurt am Main, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Professor Blümelhuber beleuchtete diese Gefahren für die Marke anhand von sieben Thesen, die er in seinem Vortrag in ein Gesamtmodell des Marken-Managements integrierte:
(1) Gefahr durch dauerhaften Wandel: Markenführung wird unberechenbar, klassische Erfolgsfaktoren zeigen immer weniger Wirkung
(2) Gefahr der mangelnden Markenstärke: wenig relevante, unterscheidungskräftige und glaubwürdige Inhalte sowie stetiger personeller Wechsel im Marken-Management
(3) Gefahr mangelnder Koordination und Vermittlung: Markenführung ist eine "Gesamt-Aufgabe"
(4) Gefahr mangelnder Unterstützung: Marken brauchen die Unterstützung durch das Top-Management
(5) Gefahr der "maschinellen Markenproduktion": Routine ist nicht die Aufgabe der Marken-Manager; das Marken-Management wird sich stärker an einem "management by occasions" orientieren müssen
(6) Gefahr der fehlenden Energie und Fokussierung: Marken-Manager brauchen Fokus, Energie und Leidenschaft - nur dann werden sie Erfolge langfristig sichern können
(7) Gefahr des mangelnden Glücks: Marken-Manager brauchen Glück - und das kann man sich erarbeiten.
Hans G. Güldenberg behandelte aus Sicht der Unternehmenspraxis und anhand langjähriger eigener Erfahrung die häufigsten Fallstricke in der Markenführung. Die größte Gefahr von innen läge darin, dass Markenführung nicht mehr Chefsache sei, sondern delegiert wurde an ein funktionales Marketing, an eine Fachabteilung ohne markenbezogene Weisungsbefugnis.
Güldenberg beschrieb beispielhaft Gefahren von innen, die in den folgenden fünf Hauptfaktoren der Markenführung lauern:
(1) Qualität
(2) Verpackung
(3) Preis
(4) Distribution
(5) Kommunikation.
Als zentralen Punkt lauernder Gefahren machte er den schleichenden Qualitäts-Abbau bei Markenprodukten aus.
Als Abbinder Güldenbergs Aufforderung an die Chefs:
"Sie müssen wieder Markenführer werden und für ihre Marken die Grundprinzipien der Führung festlegen und kontrollieren. Sonst geht's nicht!"
2. Gefahren von außen (Angriffe auf langfristige Markenstrategien)
Zum zweiten Themenblock - Gefahren für die Marke, die außerhalb des Unternehmens lauern - sprachen Prof. Dr. Hermann Sabel, Universität Bonn, als Vertreter der Wissenschaft, und Jürgen Seidler, ehemaliges Mitglied des Direktoriums der Henkel KGaA, als Vertreter der Unternehmenspraxis.
Professor Sabel begann mit: "Außen droht immer" - und machte die potenziellen Gefahrenquellen für die Marke von außen an 4 "K's" fest:
(1) Kunden
(2) Konkurrenten
(3) Kanäle
(4) "Knute".
Die "Knute" betrifft das ökonomische, politische, technologische, wissenschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle, rechtliche, soziale Umfeld, dem man sich am besten unterwirft.
An ausgewählten Entwicklungen konkretisierte Professor Sabel, zum Beispiel:
- Politik tötet im Gesundheitsbereich durch Regulierung in vielfältiger Weise Marken.
- Technologie führt zur "produktiven Zerstörung" eines Walkman durch einen iPod.
- Soziale Phänomene bereiten den Boden der "Geiz-ist-geil"-Welt, die teure Marken schädigt.
- Mergers & Acquisitions töten Marken, wenn sie konkurrierende Marken betreffen.
- Kunden schaden nur insoweit, als sie Marken, die sich nicht inszenieren, vergessen.
Jürgen Seidler analysierte auf Basis seiner langjährigen Tätigkeit im Marken-Management Gefahren, die der Marke von außen drohen. Diese Gefahren würden oft nicht oder zu spät erkannt und in ihren Gefährdungsdimensionen unterschätzt. Deshalb sei das Aufspüren und das systematische Beobachten der Symptome mit Hilfe von Frühwarnindikatoren wichtig.
Seidler beschrieb fünf von außen kommende Gefahren-Quellen für die Marke:
(1) Einschränkung der Wahlfreiheit der Verbraucher: z.B. durch die Marktmacht des Handels
(2) Nivellierung der konstitutiven Markenmerkmale: Produkt- und Markenpiraterie, Plagiate und Nachahmungen, die Wirklichkeit nicht abbildende Warentests
(3) Einschränkung der Kommunikationsfreiheit: Reizüberflutung, Fragmentierung der Medien, Werbeverbote u.a.m.
(4) Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen: gesetzliche Regelungen und Vorschriften
(5) Von außen induzierte Negativeinflüsse: externe Finanzeinflüsse, z.B. Analysten und Fondmanager; neue Marken-Inhaber; externe Berater.
Seidler schloss mit "Konsequenzen für die Markenarbeit", u.a.:
- Marke bedeutet Verpflichtung zu höchstmöglicher Qualität, machen Sie keine Kompromisse.
- Halten Sie absolute Preisdisziplin ("Eine Marke ist auf Dauer das wert, was sie kostet").
- Gehen Sie konsequent gegen jede Form von Nachahmung vor.
- Investieren Sie in F&E als Grundlage und Motor für ständige Produktverbesserungen und beim Verbraucher erfolgreiche Innovationen.
- Sorgen Sie dafür, dass Ihre Marke in der Psyche der Verbraucher fest verankert ist.
3. Wie lernt man Markenführung?
Zum dritten Themenblock sprachen als Vertreter der Wissenschaft Prof. Dr. Torsten Tomczak, Universität St. Gallen, und als Vertreter der Praxis Dr. Oliver Nickel, Managing Director der ICON ADDED VALUE GmbH, Nürnberg. Beide gingen in ihren Vorträgen der Frage nach, wo es heute mangelt, wenn es um das Erlernen von Markenführung geht. Und sie legten - jeweils aus ihrer Sicht - dar, wie das Angebot in Aus- und Weiterbildung morgen aussehen sollte.
Professor Tomczak näherte sich dem Thema anhand der 3 "W"s: WER muss WAS WIE lernen? Dabei machte er vier Gruppen von Adressaten fest, welche Markenführung in jeweils spezifischer Hinsicht lernen müssen:
(1) Zuvorderst sei da die Financial Community, die die Relevanz der Marke für den Unternehmenswert erkennen müsse.
(2) Zum zweiten seien es die General Manager, welche lernen müssten, Markenführung auf ihrer Agenda zu institutionalisieren und somit auf höchster Hierarchieebene im Unternehmen zu promoten.
(3) Und natürlich die designierten "Markenexperten", welche lernen müssten, ihre Botschaft der Marke nach oben wie nach unten im Unternehmen zu "verkaufen".
(4) Und schlussendlich die Mitarbeiter, welche lernen müssten, dass sie selbst durch ihr tagtägliches Verhalten das Markenbild in den Köpfen der Konsumenten prägen.
In diesem kollektiven Lernprozess gelte es, Lehre, Forschung und Praxis an einen Tisch zu bringen, um voneinander zu lernen und miteinander neues Wissen zu kreieren. Dass dies keine Vision bleiben muss, zeigte Professor Tomczak am Beispiel seines Forschungsprojektes "Behavioral Branding", das derzeit in Kooperation mit zahlreichen Unternehmen an der Universität St. Gallen läuft.
Dr. Oliver Nickel begann mit der Feststellung, dass bei der Ausbildung zum Markenführer viel zu tun sei: Von der Vermittlung der Grundlagen der Wissenschaftstheorie bis hin zur Bildung von Begriffsklarheit.
In der ständigen Fortbildung des Markenführers sieht Nickel "Hebel" im direkten und weiteren Umfeld der Marke. Im direkten Umfeld "müssen wir das Verständnis für die psychologischen, insbesondere für die emotionalen Zusammenhänge zwischen Marke und Individuum weiter schärfen und die Innovationskultur stärken. Im weiteren Umfeld müssen wir u.a.
(1) das Wechseln im Produkt-/Brand-Management wieder auf sinnvolle Frequenzen bringen,
(2) das Bilden von interdisziplinären Teams fördern,
(3) Wissensmanagement-Systeme im Unternehmen etablieren, die Zugriff auf Markt, Marke und Markenhistorie ermöglichen.
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Eine vollständige Wiedergabe der Vorträge und der sich anschließenden Diskussionen des 10. G·E·M Markendialog enthält die Dokumentation "Wo lauern Gefahren für die Marke?"
Diese ist zum Preis von 10,00 EUR plus Versand erhältlich im
G·E·M Book Shop.
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Vorabendveranstaltung und begleitende Ausstellung
Der diesjährige G·E·M Markendialog war flankiert durch eine Vorabendveranstaltung und eine begleitende Ausstellung:
Anlässlich des Get together am Vorabend sprach als Gastreferent Michael Brandtner aus Rohrbach/Oberösterreich, Autor und Berater, Focusing-Consultant und Associate of Ries &
Ries über Branding by Darwin – Was Markenverantwortliche von der Natur lernen können.
Brandtner: "Charles Darwin revolutionierte die Welt der Biologie, indem er als Erster die zwei treibenden Kräfte der Natur identifizierte: Evolution (Weiterentwicklung) und Divergenz (Teilung). Wenn man Märkte über einen längeren Zeitraum beobachtet, stößt man zwangsläufig auf dieselben Kräfte."
Und: "Wenn man sich heute die marktdominierenden Marken ansieht, fällt eines auf: Diese Marken setzen in ihrer Geburtsstunde auf die Urkraft der Divergenz, um den Markt zu ihren Gunsten zu teilen, um eine neue Kategorie zu schaffen. Divergenz ist der Weg, um in die Köpfe der Kunden zu gelangen; Evolution ist der Weg, um dann die Position in den Köpfen der Kunden und folglich am Markt auszubauen."
Die begleitende Ausstellung stand unter dem Motto "Hans Domizlaff - Sein markentechnisches Schaffen (1921 - 1971)".
Schwerpunkte waren die Bücher von Hans Domizlaff, seine Arbeiten für Reemtsma seit 1921, die Entwicklung des Siemens-Stils, die Deutsche Grammophon, die Archiv-Produktion
sowie Getränke-Marken. Unter den annähernd 180 Exponaten aus der Sammlung des Hans-Domizlaff-Archivs befanden sich Warendisplays, Zigarettenschachteln, von Hans Domizlaff entworfene Hausgeräte, Werbeprospekte und Gebrauchsanweisungen sowie Schallplattenhüllen und originale Manuskripte. Bei den Büchern waren u.a. die bisher sieben Auflagen von "Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens. Ein Lehrbuch der Markentechnik" zu sehen. Außerdem wurden 15 Fotografien mit Portraits von Hans Domizlaff aus verschiedenen Lebensabschnitten mit Zeitgenossen gezeigt.
Organisiert war die Ausstellung von Peter Sumerauer, Gründer und Kurator des Hans-Domizlaff-Archiv in Frankfurt am Main.
Bericht: Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Matthias Richter, Bad Homburg