9. G·E·M Markendialog 2005
Wie entstehen starke Marken?
24. Februar 2005
Über einhundert Teilnehmer kamen zum 9. G·E·M Markendialog, der jährlich Ende Februar in Frankfurt am Main stattfindenden Frühjahrsveranstaltung der G·E·M Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V.
Der diesjährige 9. G·E·M Markendialog am 24. Februar 2005 ging der Frage nach:
Wie entstehen starke Marken? Das Thema wurde - wie beim G·E·M Markendialog
üblich - in drei Unterthemen gegliedert, zu denen jeweils Wissenschaftler
und Unternehmensvertreter sprachen. Um dann ausführlich mit dem Auditorium
zu diskutieren. Dies unter der Moderation von Prof. Dr. Dr.hc. Richard Köhler,
Marketing-Seminar der Universität zu Köln.
Markenpersönlichkeit und Markenidentität - Eine Wachstumschance?
Als Vertreter der Wissenschaft beantwortete Univ.-Professor Dr. Christoph Burmann,
Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement, Universität Bremen, die im
Thema gestellte Frage mit klaren Thesen, u.a.:
Marken leben aus ihrer Differenzierungskraft, aus der Festigkeit der "Kunde-Marken-Beziehung". Marken ohne Differenzierung sind keine Marken, sondern "Labels", bloße Namensschilder.
Die heute allzu oft schwache Differenzierung von Marken erklärt zu einem guten Teil die "Geiz ist geil"-Welle.
Die Substanz einer Marke muss durch eine konsequente, innengerichtete Führung aufgebaut werden, in deren Mittelpunkt die Markenidentität steht. Sie besteht aus sechs Komponenten: Herkunft der Marke, Kompetenzen der Marke, Kernleistungen der Marke, Vision (Wohin soll die Marke gehen?), Werte (Woran glaubt die Marke?) und Persönlichkeit (Kommunikationsstil der Marke).
Die Pflege der Substanz einer Marke wird heute in vielen Fällen vom Management vernachlässigt. Dies führt zu diffusen Markenidentitäten. Je verschwommener und unklarer die Identität einer Marke ist, desto stärker wird die Markenidentität zur Wachstumsbremse. Dies zeigte Burmann an Beispielen: Laptops, Opel und Saab, Karstadt.
Bei einem klaren Fokus aufs Kerngeschäft, bei klarer Identität dagegen, bei einer stabilen Kunde-Marke-Beziehung lassen sich neue Geschäftsfelder erschließen. Die klar definierte Markenidentität ist ein Wachstumsmotor. Beispiele: Tchibo, Nivea, Porsche.
Als Vertreter der Unternehmenspraxis gewährte Dr. Reinhard Zinkann, Geschäftsführender Gesellschafter Miele & Cie.KG, Gütersloh, Einblick in die Markenführung bei
Miele:
Um nachhaltiges und langfristiges Wachstum für das Unternehmen Miele zu sichern, musste Miele seine Aktivitäten von den Reinigungs-Geräten zu den Koch-Geräten in der Küche ausdehnen. Das bedeutet für eine Marke, deren Herkunft die Waschküche ist, eine weitgehende Identitäts-Ausdehnung. Dies ist gelungen durch eine Neu-Positionierung von Küchen-Geräten auf Basis von vorhandenen Miele-Kernkompetenzen: Qualität, Funktionsgüte, Lebensdauer, beste Bedienbarkeit, Innovation.
Eine starke Markenidentität erlaubt keine großen Veränderungen. Die durch die Marken-Geschichte wirksamen Fesseln erlauben nur Veränderungen in kleinen Schritten, die keine Marken-Irritationen auslösen.
Im Verlauf seiner Ausführungen machte Dr. Zinkann Anmerkungen zur Markenführung
heute:
Bei Markenführung geht es nicht um einen Kampf der Produkte, sondern um einen
Kampf um deren Wahrnehmung. Diese Wahrnehmung ist immer die Summe aller
Lebenszeichen einer Marke.
Das am meisten prägende Element ist die Vergangenheit. Eine gelebte Geschichte dürfen und werden wir nicht verändern. Marken können versuchen, alles zu verändern, nur ihre
Geschichte nicht.
Marken schalten den Verstand aus, bauen auf Vertrauen.
Die Unabhängigkeit des Familien-Unternehmens erlaubt es, die Marke langfristig zu
führen.
Hirnforschung, Kognitionspsychologie und Markenführung
Den zweiten Themenblock unter dem Generalthema "Wie entstehen starke Marken?" bereiteten Prof. Dr. Peter Kruse, Universität Bremen und nextpractice GmbH, Bremen, und Timm Richter, Leiter Unternehmensentwicklung Tchibo GmbH, Hamburg, auf: Der mögliche Beitrag von Hirnforschung und Kognitionspsychologie zur Markenführung.
Prof. Kruse erklärte die Situation der Menschen in der komplexen und vernetzten Welt
von heute. Wo Vernetzung steigt, steigt die Komplexität. Der Mensch von heute ist
überfordert. Sein Ziel: Reduktion der Komplexität.
Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung stützen die Annahme, dass starke Marken direkten Einfluss nehmen auf die im limbischen System verankerten, gefühlsmäßigen Bewertungen der Konsumenten. Eine Marke ist erst dann eine Marke, wenn sie Einzug in das limbische System gefunden hat, dort verankert wurde.
Zudem scheinen Marken zur kortikalen Entlastung zu führen. Eine Marke ist ein Stabilität tragendes Element in einer instabilen Welt.
Eine Marke lebt von der Resonanzbildung zwischen gelebten Werten im Unternehmen und der Verankerung in den Emotionen der Konsumenten.
Timm Richter schilderte, wie Tchibo in der Vergangenheit den Wechsel vom Kaffee
zu Gebrauchsartikeln bewältigte: Das Unternehmen hat eine Transformation durchgemacht und die Kunden sind die Entwicklung mitgegangen.
Ganz entscheidend war, die Mitarbeiter für die Markendehnung zu gewinnen. In der Tchibo-Erfolgsgeschichte war die strategische Markenführung eher ein Problem der Unternehmenskultur als des Marktes. Richter: "Die gute Marke kommt von innen."
Während sich die Marke Tchibo im Markt organisch entwickelte, kam es innerhalb des Unternehmens zu deutlichen Übergangsspannungen. Der Wandel bei Tchibo beschäftigte die Mitarbeiter, nicht die Kunden. Am Tchibo-Beispiel zeigt sich, wie gravierend der oft vernachlässigte Aspekt der Übereinstimmung der angestrebten Markenpersönlichkeit mit dem gelebten Wertemuster eines Unternehmens sein kann.
Mit Hilfe der von Prof. Kruse entwickelten Interviewverfahren wurde die Tchibo-Unternehmenskultur durchleuchtet. Weil nicht nur die Messung der Einstellungen und Erwartungshaltungen von Kunden, sondern auch von Mitarbeitern eine zentrale Aufgabe der strategischen Markenführung ist. Hier können Hirnforschung und Kognitionspsychologie einen großen Beitrag leisten.
Kruse über die Entwicklung bei Tchibo: Komplexitätsreduktion, das macht Tchibo mit seinem Angebot, und das zeitnah.
Markendehnung - Gefahr für die Markenstärke?
Prof. Dr. Martin Benkenstein, Universität Rostock, definierte Markendehnung als
die Übertragung eines im Markt etablierten Markenzeichens auf neue Produkte
im aktuell bearbeiteten bzw. neu zu erschließenden Markt. Ziel ist der Transfer
von verfestigten Wissensstrukturen der Nachfrager in Form von Markenbekanntheit
und Markenimage der Stamm-Marke auf Transfer-Produkte.
Dabei sind die Risiken eines fehlerhaften Markentransfers trotz der unbestrittenen Strategievorteile beachtlich; sie widersprechen damit der in der Praxis verbreiteten, zweckoptimistischen Vorstellung des "grenzenlosen" Markentransfers.
Vor allem ist auf diese Punkte zu achten: Die Höhe der wahrgenommenen Qualität der Stamm-Marke (Markenvertrauen); sie verzeiht auch Fehler beim Markentransfer. Marken mit geringer Qualitätswahrnehmung fehlt die Kompetenz für Markentransfers. Je höher der Fit (Imageähnlichkeit) zwischen Stamm-Marke und Transfer-Marke, desto höher die Erfolgswahrscheinlichkeit des Transfers. Die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Markentransfers ist umso größer, je höher das Involvement der Konsumenten.
Starke Marken werden durch Markentransfers stärker.
Heute werden zu viele Markentransfer-Strategien versucht, bei denen das Risiko der Markenschwächung zuschlägt. Daher die Empfehlung: Wer Markentransfer-Strategien angehen will, muss die Transferpotenziale sorgfältig prüfen, um auch von einer Transfer-Strategie abzusehen.
Die Unternehmensseite vertrat Norbert A. Platt, CEO Richemont International SA,
Genf, bis Herbst 2004 President - CEO der Richemont-Marke Montblanc International,
Hamburg. Er gewährte - als der Macher hinter dieser Entwicklung - einen Einblick in
die Philosophie der in den vergangenen Jahren bei Montblanc erfolgten Markendehnung
- vom Füller, dem Montblanc Meisterstück, zur Marke Montblanc für Uhren, Leder,
Schmuck, Kosmetik.
Ausgangspunkt: Füller gibt es nicht trotz Computer, sondern wegen der Computer. Denn Schreiben von Hand ist Ausdruck von Gedanken und Gefühlen als intime Handlung: Ich nehme mir Zeit für Dich, Du bist mir wichtig.
Dahinter liegt die Sehnsucht der Menschen nach High Touch als Balance zu High Tech. Luxusmarken sind sinnstiftend. Wenn jemand ein Luxusprodukt kauft, ist das Liebe, auch Selbstverwöhnung. Das ist nicht USP, sondern Philosophie.
Geht es um Markendehnung, ist eines wichtig: Alle Marken müssen in der Sinnstiftungsphase stimmig sein. Die neuen Produkte müssen innerhalb von Kategorien sein, die das bestehende Wertesystem verkörpern. Die neuen Produkte können der Marke helfen und das Wertesystem transportieren.
Der gemeinsame Status der Marke Montblanc bei den Kunden ist: Ich bin erfolgreich. An der Erreichung dieses Ziels haben die Mitarbeiter einen großen Anteil. Der Mitarbeiter ist der wichtigste Afficionade der Marke. Wir brauchen die Leidenschaft der Mitarbeiter. Denn eine Marke mit Kultur, die muss auch nach innen gelebt werden.
Und wenn es um Markendehnung geht, dann ist ganz entscheidend, die Mitarbeiter in der Mission zu behalten.
Norbert A. Platt gab noch drei Botschaften mit auf den Weg:
- Die Marke ist der Held, nicht das Management.
- Meiden Sie Vertriebskanäle und Handelspartner, die Ihrer Marke nicht den entsprechenden Respekt entgegenbringen.
- Und wenn der Controller sich in die Markenführung einmischt, dann sagen Sie ihm: Davon verstehst Du nichts. Also halt' dich da raus.
Dieter Stolte über seine Erfahrungen mit der Führung von Medien-Marken
Am Vorabend zum 9. G·E·M Markendialog sprach vor Tagungsteilnehmern und geladenen Gästen Prof. Dr. Dieter Stolte, Herausgeber Die Welt, zuvor Intendant des ZDF, über seine Erfahrungen mit der Führung von Medien-Marken.
Stolte schlug eine Brücke von den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bis zur Markenführung der Jetztzeit. Dies mit einer besonderen Würdigung der Medien-Marken. Hier stellte er insbesondere die Zeitökonomie der Leser heute und ihren Einfluss auf die Mediennutzung und den damit verbundenen Implikationen für die Markenführung her.
"Das Markenversprechen ist die Eingangspforte zum Erfolg; aber erst seine Einlösung bringt den erwarteten Markenwert."
Das ZDF stellt aus Professor Stoltes Sicht ein herausragendes Beispiel für gute Medien-Markenführung dar. Unter dem Leitstern des Claims "Mit dem Zweiten sieht man besser" wurde das komplette Markenangebot unter einer Dachmarke gebündelt, die sich im starken und dynamischen Wettbewerb des Medienmarktes nachhaltig durchsetzen konnte.
Besonderes Augenmerk legte Stolte auf Qualität, denn "Qualität ist die unablässige Voraussetzung für die Entstehung einer Marke."
Abschließend bemerkte Professor Stolte:
"Was Markenpositionierung und Markenführung ausmacht, ist gesunder Menschenverstand und Psychologie. Wer weniger an sich denkt, sondern an seine Kunden, der wird bald merken, dass sich ihm ein Markt mit neuen Handlungsoptionen eröffnet. Voraussetzung dafür ist, unvoreingenommen und uneigennützig zu sein."
Eine vollständige Wiedergabe der Vorträge und der sich anschließenden Diskussionen enthält die Dokumentation des 9. G·E·M Markendialog "Wie entstehen starke Marken?". Diese ist zum Preis von 10,00 EUR plus Versand erhältlich im G·E·M Book Shop.
Die gedruckte Version ist vergriffen.
Möglichkeit zum Download:
9. G·E·M Markendialog (PDF 7,8 MB)
Bericht: Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Matthias Richter, Bad Homburg