23. G·E·M Kamingespräch mit Dr. Michael Otto
Pionier in einem traditionellen Unternehmen
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Vor knapp 70 Jahren, am 17. August 1949, gründete der damals 40-jährige Werner Otto den „Werner Otto Versandhandel“ in Hamburg-Schnelsen. Mit 6.000 Mark Startkapital und drei Mitarbeitern startete er einen Versandhandel für Schuhe. Dr. Michael Otto, Werner Ottos ältester Sohn, erinnert sich, dass auf die Bestellung immer nur ein Schuh ausgeliefert wurde, der zweite erst nach Eingang des Geldes vom Kunden.
Die Otto Group
Heute ist die Otto Group als deutscher Handels- und Dienstleistungskonzern weltweit mit rund 50.000 Mitarbeitern aktiv in den Bereichen Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und Service. Der Geschäftskern der Otto Group ist der Einzelhandel. Mit ihm werden über 65 % der Erlöse über die weltweit rund 100 Online-Shops erwirtschaftet. Die Otto Group ist im Geschäft mit Endkonsumenten einer der größten Online-Händler weltweit, nach Amazon.com, sowie der größte Online-Händler für Mode und Lebensstil für den Endverbraucher in Europa.
Dr. Michael Otto beim 23. G·E·M Kamingespräch
Michael Otto ist ein zukunfts-orientierter Unternehmer. 1971 schrieb er seine Dissertation über „Die Absatzprognose im Versandhandel“. In die Otto Group trat er 1971 ein und übernahm den Vorstandsbereich Einkauf Textil, dem er eine neue Organisationsstruktur gab. Von 1981 bis Oktober 2007 leitete Dr. Michael Otto die Otto Group als Vorstandsvorsitzender. Bereits Mitte der 1990er Jahre erkannte er das Potential des Online-Handels und machte die Otto Group zu einem der weltweit erfolgreichsten E-Commerce-Unternehmen. Ebenso frühzeitig befasste er sich mit der Digitalisierung im Unternehmen. Dafür wurde er 2016 anlässlich der Digital Champions Awards mit dem Sonderpreis „Digitalisierungsmacher“ ausgezeichnet. Seine Visionen gelten IT, Online und der Digitalisierung.
Am 18. September 2018 war Dr. Michael Otto Ehrengast beim 23. G·E·M Kamingespräch. Abendlicher Treffpunkt war „collabor8“, die neu geschaffene Co-Working-Bürofläche im 8. Stock des Gebäudes 5 auf dem Campus der Otto-Group in Hamburg-Bramfeld. „collabor8“ ist Teil einer grundsätzlichen Veränderung der Arbeitsatmosphäre am Campus der Otto Group.
Im Gespräch mit Friedrich Neukirch, Präsident G·E·M, und auf Fragen aus dem Kreis der Teilnehmer gab Dr. Michael Otto an diesem Abend an Mitglieder und Gäste der G·E·M so manche Erfahrung weiter. Hier eine kleine Auswahl:
1. Seit Anfang der 1980er Jahre erkundet Michael Otto gemeinsam mit dem IT-Vorstand vor Ort im Silicon Valley die neuesten Entwicklungen, schaut sich Unternehmen an, um zu lernen. Ende der 1980er Jahre startet in den USA das interaktive TV, nicht zu verwechseln mit Home Shopping. Darin erkennt Michael Otto die Chance, die Zukunft des Versandhandels.
2. Mitte der 1990er Jahre hatten in Deutschland nur 250.000 Menschen Zugang zum Internet. Doch die Entwicklung explodierte. Diese Zukunftsentwicklung musste in den Köpfen der Mitarbeiter Fuß fassen. Es braucht Jahre, um die Mitarbeiter zu motivieren und zu schulen. Das ist kein Job für zwei oder drei Jahre. Man braucht viel Zeit. Gegenwärtig hat die Entwicklung neue Geschwindigkeit aufgenommen. Bei Otto spricht man vom Kultur-Wandel 4.0.
3. Heute zählt Schnelligkeit, agil sein. Planungssicherheit braucht nicht mehr 90 %, bei 80 % muss es losgehen. Fehler sind erlaubt; zugeben, wo man Fehler gemacht hat, diese nicht vertuschen. Aus Fehlern lernen ist die Devise. Nicht alles perfekt vorausplanen wollen, sondern enger zusammenarbeiten und nachsteuern.
4. Digitalisierung bedeutet flachere Hierarchien im Unternehmen und auch Verlust an Kontrolle. Der Vorgesetzte muss sein Team koordinieren, denn Digitalisierung fordert Teamarbeit. Dabei muss man erkennen, dass junge Mitarbeiter im digitalen Bereich ein größeres Wissen haben als ihre älteren Vorgesetzten. Es braucht permanente Veranstaltungen, um alle Mitarbeiter mitzunehmen. Wichtig ist Dr. Michael Otto, die Menschen, die durch Digitalisierung ihren angestammten Job verlieren, zu schulen bzw. anders einzusetzen.
5. Angst ist eine immer häufiger auftretende Erscheinung. Nicht nur gegenüber der Digitalisierung, auch im Hinblick auf die Globalisierung. Angst, dass etwas verloren geht. Gerade, weil es uns so gut geht. In den neuen Bundesländern hat man keine Erfahrung mit Flüchtlingen, daher große Angst vor der möglichen Entwicklung. Angst vor dem, was man nicht kennt und Angst vor dem, was passieren kann. Und diese Ängste werden durch die Medien noch geschürt. Daher: Bei den Mitarbeitern die Angst vor der Digitalisierung nehmen.
6. Das ausgeprägte Umweltbewusstsein hat der 1968 gegründete Club of Rome und dessen 1972 veröffentlichter Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ bei Michael Otto ausgelöst. Er hat Umweltschutz und Nachhaltigkeit als Unternehmensziel erklärt. Weil er die Überzeugung ist, dass man nicht nur erkennen, sondern auch handeln muss. Es ist allemal sinnvoll zu handeln, auch wenn wir die Auswirkungen in ihrer Dimension noch nicht voll erkennen können.
7. Ansatzpunkte, schädliche Auswirkungen zu reduzieren, gibt es viele. Zum Beispiel: Online-Bestellung und Zustellung mit weniger schädlichen Wirkungen. Muss wirklich jeder Kunde nach Hause zugestellt bekommen? Eine Alternative bei Otto ist der Paket-Shop, an dem der Kunde vorbeikommt und mitnimmt. Oder: Container in der City werden nachts gefüllt und am Tag mit Fahrrädern zugestellt (in Berlin im Test).
8. Die Mitarbeiter müssen ganz klar wissen, wo es hingeht . Das heißt: Transparent informieren und klare Ziele setzen, die jeder versteht.
9. Dass Werte heute verloren gehen, wird immer wieder beklagt. Zur Vermittlung von Werten ist das Vorleben wichtig. Vorleben für Kinder in spielerischer Form, in der Schule und zuhause. Zum Beispiel Eltern, die mit ihren Kindern im Restaurant nicht auf ihr Handy achten, sondern mit diesen sprechen. Oder: Kochen vorleben und nicht nur fertige Konserven einkaufen.
10. Wer mit einem Unternehmen in andere Länder geht, sollte auf die anderen Kulturen achten. Die andere Sprache beherrschen reicht nicht, sondern die andere Kultur kennen und beachten. Und immer nationale Manager einsetzen, vor allem bei den marktbezogenen Tätigkeiten.
11. Amazon.com ist mit Abstand Ottos größter Konkurrent. Amazon ist sehr maskulin ausgerichtet, ist in Technik und Abwicklung perfekt. Otto ist feminin (Beispiel Mode), ist emotionaler, stellt die Individualisierung heraus, u.a. durch telefonische Beratung. Im Servicebereich hat man klare Vorteile gegenüber Amazon, so in der Hermes-Zustellung bei Möbeln und Großelektrogeräten mit dem „Zwei-Stunden-Fenster“. Unterschiede aber auch bei den Werten, zum Beispiel bei der Überwachung der Herstellung der Produkte in fernen Ländern im Hinblick auf Umwelt- und Sozialstandards.
12. Gefragt nach einem Blick in die Zukunft nennt Dr. Michael Otto diese Stichworte:
Schnelle Entwicklungen. Voice wird das große Thema sein, z.B. bei Bestellungen. Computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung (augmented reality). Big Data: Vorhersage aufgrund analysierter Daten. Individualisierung.

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Bericht:
Wolfgang K.A. Disch, Hamburg, Mitglied im Vorstand der Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens (G·E·M) e.V.
Fotos: lux-und-liebe-foto.de
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Michael Otto, geboren am 12. April 1943 in Kulm in Westpreußen, kam mit seiner Familie nach dem Krieg als Flüchtling nach Hamburg, wo er Kindheit und Jugend verbrachte. Nach dem Abitur absolvierte er eine Banklehre bei Merck, Finck & Co. in München. Anschließend studierte Michael Otto Volkswirtschaft an den Universitäten München und Hamburg und promovierte 1971 bei Professor Dr. Robert Nieschlag mit dem Thema „Die Absatzprognose im Versandhandel“. Bereits während des Studiums machte er sich im Grundstücks- und Finanzvermittlungsgeschäft selbstständig.
2012 wurde Dr. Michael Otto die Ehrendoktorwürde der HHL Leipzig Graduate School of Management verliehen. 2013 haben die Hamburgische Bürgerschaft und der Senat Dr. Michael Otto die Ehrenbürgerwürde der Freien und Hansestadt Hamburg für seine hervorragenden Verdienste um die Kultur, Bildung, Umwelt und im sozialen Bereich verliehen. Anlässlich seines 75. Geburtstags wurde ihm von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher der Ehrentitel „Professor“ verliehen; dies in Würdigung seiner Verdienste für die Stadt.
In die Otto Group trat Dr. Michael Otto 1971 ein und übernahm den Vorstandsbereich Einkauf Textil, dem er eine neue Organisationsstruktur gab. Von 1981 bis Oktober 2007 leitete er die Otto Group als Vorstandsvorsitzender. Unter seiner Führung entwickelte sich die Firma zur international größten, einzigen weltweit agierenden Versandhandelsgruppe. Dr. Otto erkannte bereits Mitte der 90er Jahre das Potenzial des Online-Handels und machte die Otto Group zu einem der weltweit erfolgreichsten E-Commerce-Unternehmen. Dafür wurde er 2016 anlässlich der Digital Champions Awards mit dem Sonderpreis „Digitalisierungsmacher“ ausgezeichnet.
Als Aufsichtsratsvorsitzender gestaltet und fördert Michael Otto bis heute wesentlich die digitale Transformation des Unternehmens. Die Otto Group ist heute mit 123 wesentlichen Unternehmen in mehr als 30 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas und Asiens präsent und gehört zu den weltweit größten Onlinehändlern.
Sein Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, zeigt sich in der Vielzahl seiner Ehrenämter: Dr. Otto ist unter anderem Vorsitzender des Kuratoriums der Gesellschaft für Politik und Wirtschaft e.V., Hamburg (Haus Rissen); Stellvertretender Vorstandsvorsitzender im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI, Berlin; Vorsitzender des Kuratoriums der Michael Otto Stiftung für Umweltschutz; Vorsitzender des Kuratoriums der Werner Otto Stiftung für medizinische Forschung; Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates der Umweltstiftung WWF Deutschland; Ehrenmitglied des World Future Councils.
Dr. Michael Otto wurde vielfach ausgezeichnet:
Deutscher Marketing-Preis (1982), Manager des Jahres (1986 & 2001), Öko-Manager des Jahres (1991), International Retailer of the Year 1995 (1995), International Corporate Conscience Award for Environmental Initiatives (1996), Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz von der Binding-Stiftung (1996), Alfred-Töpfer-Medaille des Hamburger Senats (1996), Deutscher Umweltpreis 1997 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (1997), Ehrensenator der Universitäten Hamburg und Greifswald (2000), Preis für Unternehmensethik 2000 des Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik (2000), Aufnahme in die DMA Hall of Fame, New York (2001), Sustainability Leadership Award (2002), Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin (2004), Internationaler B.A.U.M.–Sonderpreis (2005), Vernon A. Walters Award 2005 der Atlantik-Brücke (2005), Deutscher Gründerpreis in der Kategorie Lebenswerk (2006), International Lifetime Award (2006), Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern (2006), Deutscher Handelspreis in der Kategorie Lifetime (2007), Medaille für Verdienste um das Stiftungswesen (2008), Theodor Heuss Preis (2010), UNESCO Children in Need Support Award (2010), Walter-Scheel-Preis (2011), Heinz Sielmann Ehrenpreis (2011), Internationaler TÜV Rheinland Global Compact Award (2011), Business Hall of Fame des Manager Magazins (2012), Steiger-Award für Engagement im Bereich Umwelt (2013), Bayerischer Verdienstorden (2015), Ehrenmitgliedschaft der Patriotischen Gesellschaft von 1765 (2016), Deutscher CSR-Preis (2017), Ehrentitel „Professor“ (2018).