G·E·M Award 2019 an Prof. Dr. Michael Otto
Am 20. März 2019, am Vorabend zum 23. G·E·M Markendialog „Künstliche Intelligenz – Game-Changer für die Markenführung“ in Berlin, wurde zum neunten Mal der »G·E·M Award« verliehen. Ausgezeichnet mit dem »G·E·M Award« 2019 wurde Prof. Dr. Michael Otto, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Otto Group, Hamburg.
Nach der Begrüßung der Gäste, der G·E·M Mitglieder und der Teilnehmer am 23. G·E·M Markendialog durch Jens Lönneker, Präsident der G·E·M, hielt Wolfgang K.A. Disch die Laudatio auf den Preisträger.
Der »G·E·M Award«
Der »G·E·M Award« wurde anlässlich »100 Jahre G·E·M« im Jahre 2010 geschaffen. Als Ehrenpreis für Marken- und Unternehmensführer, die sich dadurch auszeichnen, dass sie als Persönlichkeiten ihre Marken zu Persönlichkeiten heranreifen lassen. Und damit Entwicklungen auf dem Gebiet des Markenwesens anführen und entscheidend beeinflussen, also Vordenker auf dem Gebiet des Markenwesens sind.
Damit hat der »G·E·M Award« eine Alleinstellung unter den Marken-Auszeichnungen.Erstmals verliehen wurde der »G·E·M Award« im Jahre 2011 an Emil Underberg. In den Folgejahren wurden geehrt: 2012 Albert Darboven, 2013 Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell, 2014 Dr. h.c. August Oetker, 2015 Prof. Götz W. Werner, 2016 Herbert Hainer, 2017 Alfred T. Ritter und 2018 Werner M. Bahlsen. Preisträger 2019 ist Prof. Dr. Michael Otto, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Hamburger Handels- und Dienstleistungsgruppe Otto (GmbH & Co KG).
Begrüßung
Jens Lönneker
Schönen guten Abend. Ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist Jens Lönneker. Ich habe die Aufgabe, in den heutigen Abend einzuführen, weil ich der neu gewählte G·E·M-Präsident bin. Vielen, vielen Dank. Aber der Applaus gebührt meinen Vorgängern Friedrich Neukirch und Wolfgang K.A. Disch, die über Jahre hinweg eine fantastische Arbeit geleistet haben. Die Beiden haben mich gebeten, das nicht groß zu vertiefen, aber Ihr Beifall ist ehrlich verdient.
Ich möchte Sie alle begrüßen: die Teilnehmer am morgigen 23. G·E·M Markendialog, alle Mitglieder der G·E·M, unsere Ehrenmitglieder, unsere Gäste und insbesondere unseren Ehrengast, Herrn Prof. Dr. Michael Otto. Herzlich Willkommen Herr Dr. Otto. Wir freuen uns sehr, dass Sie heute bei uns sind. Herr Dr. Otto hat sich Wolfgang K.A. Disch als Laudator gewünscht. Und das ist jetzt der Zeitpunkt, wo ich hier verschwinden sollte und an Herrn Disch übergebe. Lieber Herr Disch, kommen Sie nach vorne.
Laudatio
Wolfgang K.A. Disch
Lieber Herr Dr. Otto, liebe Mitglieder der G·E·M, werte Gäste,
eine Laudatio auf eine Persönlichkeit zu halten, der bereits so viele Auszeichnungen und Ehrungen zuteil geworden sind, das ist eine echte Herausforderung. Wenn ich gut recherchiert habe, sind es bisher 39. Hier eine kleine Auswahl:
Manager des Jahres, Öko-Manager des Jahres, International Retailer of the Year, Deutscher Umweltpreis, Preis für Unternehmensethik, Sonderpreis Digitalisierungsmacher, Deutscher CSR-Preis, EWS Award des Europäischen Wirtschaftssenats, Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern, Aufnahme in die Hall of Fame der Direct Marketing Association, New York, Ehrensenator der Universitäten Hamburg und Greifswald, Ehrendoktor der HHL Leipzig Graduate School of Management, Ehrenbürger seiner Heimatstadt Hamburg, Ehrentitel “Professor“ der Freien und Hansestadt Hamburg.
Wenn heute die G·E·M, die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens, Dr. Michael Otto ehrt, dann geht es um die Würdigung seines Denkens und Handelns in Bezug auf Marke, Marken- und Unternehmensführung.
Denn der »G·E·M Award« ist ein Ehrenpreis für Marken- und Unternehmensführer, die sich dadurch auszeichnen, dass sie als Persönlichkeit ihre Marken zu Persönlichkeiten haben heranreifen lassen.
Ich habe fünf Facetten gefunden, die das Denken und Handeln unseres Laureaten ausmachen:
(1) Michael Otto, der Zukunftsorientierte
Sie kennen den großartigen Gedanken „Zukunft braucht Herkunft“ des Gießener Philosophen Odo Marquard. In Anlehnung daran habe ich eine kleine Umformulierung vorgenommen: Herkunft prägt Zukunft. Womit ich zum Ausdruck bringen will, dass die gelebte Zukunftsorientierung von Michael Otto Quellen und Wurzeln in seiner Herkunft hat:
Geboren am 12. April 1943 in Kulm an der Weichsel (Westpreußen, heute Polen). 1944 Flucht mit den Eltern Werner Otto und dessen Ehefrau Eva. 1945 gelangten sie nach Hamburg und fanden eine Bleibe im Vorort Schnelsen. Dort lebten sie in bescheidenen Verhältnissen; der Stadtteil liegt an der nordwestlichen Grenze der Hansestadt, mit der Straßenbahn konnte man von der Stadt Hamburg dorthin erst ab 5. Mai 1953 gelangen. In der Nachbargemeinde Niendorf sprachen wir denn auch von Schnelsen als der Gegend, wo die Welt mit Brettern zugenagelt ist.
In diesem Umfeld begann Werner Otto 1946 eine Schuhproduktion, die bald gut florierte. Nach der Währungsreform im Juni 1948 ging der Umsatz zurück. Werner Otto erkannte, dass die Schuh-Produktion auf Dauer nicht wirtschaftlich war und stellte die Herstellung 1949 ein. Nach einem Kurzurlaub kam er mit der Idee zurück, einen Versandhandel mit Schuhen aufzubauen. Die Gründung des Werner Otto Versandhandel vollzog er am 17. August 1949.
Kurz zuvor, zu Ostern 1949, wurde Michael Otto eingeschult. Er konnte miterleben, wie 1950 der erste Katalog mit 28 Paar Schuhen entstand und wie sein Vater täglich mit einem Handkarren 10 bis 15 Pakete auf die Post brachte. Nur am Rande: Das Postamt in Schnelsen war wenig davon angetan, diese große Zahl von Paketen am Schalter täglich entgegenzunehmen.
Als erster Versandhändler bot Otto den Kauf auf Rechnung an; „Vertrauen gegen Vertrauen“ nannte Werner Otto diese Haltung. Allerdings wurde auf die Bestellung nur ein Schuh ausgeliefert, der zweite erst nach Eingang des Geldes, erzählte mir Michael Otto. Dazu gab es eine Garantie des Umtausches oder auch Rückgabe, also Kauf ohne Risiko. Und sein Vater hatte die Verkaufsidee der Sammelbestellung.
1954 stellte Werner Otto den Schuh-Versand ein, um mit der Firma Baur-Burgkunstadt (Schuhversand) keine Konflikte zu bekommen; der Schwerpunkt lag jetzt beim Textil-Versand.
Michael Otto besuchte das Gymnasium für Jungen St. Georg in Hamburg, wo er 1962 das Abitur bestand. Schon während dieser Zeit hat er im Unternehmen des Vaters gejobbt und mit ihm den 1955 vollzogenen Umzug des Werner Otto Versandhandel nach Hamburg-Hamm sowie den 1960 folgenden Umzug nach Hamburg-Bramfeld geplant und realisiert.
1962 begann Michael Otto in München beim Bankhaus Merck-Finck & Co. eine Lehre, die er 1964 mit dem Bestehen der Kaufmannsgehilfenprüfung beendete. Parallel startete er 1963 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München das Studium der Volkswirtschaft, das er im WS 1967/68 mit dem Examen für Diplom-Volkswirte abschloss. Während des Studiums nahm sein Vater ihn mit auf Erkundungsreisen in Sachen Versandhandel nach den Niederlanden und England. Und Michael Otto wurde Mitglied des neu gegründeten Beirates des Otto Versand Hamburg.
Als 25-Jähriger war Michael Otto schon gut eingebunden in das geschäftliche Geschehen des Otto Versandhandels. Von seinem Vater lernte er das frühzeitige Erkennen von Möglichkeiten und Risiken. Ererbte Zukunftsorientierung im Alltag.
1971 promovierte Michael Otto bei Prof. Dr. Robert Nieschlag in München mit dem Thema „Die Absatzprognose im Versandhandel“. Die wissenschaftliche Grundlage für seine künftigen zukunftsorientierten Tätigkeiten im Otto Versand.
„Herkunft prägt Zukunft“ war mein Ausgangsgedanke. Was ich Ihnen anhand der kurzen Blicke auf 25 Jahre Michael Otto darzulegen versuchte. Flüchtling, Leben in bescheidenen Verhältnissen, Miterleben der Gründung und Auflösung des ersten väterlichen Unternehmens, Miterleben des Durchstartens mit dem zweiten Unternehmen, dem Versandhandel, Miterleben der Weitsicht und des hohen Einsatzes seines Vaters für das Unternehmen. Dabeisein war das Entscheidende.
Übrigens: Vater Werner Otto verlangte von keinem seiner Kinder den Einstieg in sein Unternehmen. Sein Sohn Michael hat es dennoch getan. Durch sein Dabeisein – seine Herkunft – bestens auf seine Zukunft vorbereitet.
„Marke“ war damals – wir sprechen von 1971 – noch kein Thema. Was aber nicht verhindern konnte, dass eine großartige Marke am Heranwachsen war. „Otto Versand – Hamburg“ kannte bald jeder, wurde zum Ohrwurm.
(2) Michael Otto, der Transformierer
1971 tritt Dr. Michael Otto im Alter von 28 Jahren in die Otto Group ein – als ein mit dem Unternehmen bereits bestens Vertrauter. Er übernimmt den Vorstandsbereich Einkauf Textil, dem er eine neue Organisationsstruktur gibt.
1981 wird er Vorsitzender des Vorstandes. Schnell wird er zum – wie ich ihn nennen möchte – Transformierer der Otto Group.
Transformation und transformieren sind für uns durchaus gängige Begriffe; ich habe den beiden einen dritten hinzugesellt, der den Macher dahinter meint: den Transformierer. (Er steht noch nicht im Duden)
Transformation ist ein Prozess des Wandelns, der Erneuerung, des Trennens von Bewährtem. Transformation ist ein gewollter Prozess zielgerichteter Änderungen der unternehmerischen Strategie. – Das war die Botschaft auf unserem 21. G·E·M Markendialog „Die Marke im Zentrum der Transformation“ vor zwei Jahren.
Diesen gewollten Prozess zielgerichteter Änderungen der Unternehmens-Strategie verfolgt Dr. Michael Otto konsequent. Das entspricht seiner Zukunftsorientierung. Transformation ist für ihn als Unternehmer ein ganz natürlicher Vorgang.
Wenn Joseph Schumpeter heute leben und lehren würde, er würde Michael Otto als Paradebeispiel wählen.
In seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ schrieb er 1912: »Die Unternehmer werden Neues schaffen und Altes zerstören, kühne Pläne irgendwelcher Art konzipieren und durchführen«.
1942 beschreibt er diese Tätigkeit des Unternehmers in seinem Buch „Capitalism, Socialism and Democracy“ als den »Process of Creative Destruction«. Was im deutschsprachigen Raum als »Prozess der schöpferischen Zerstörung« tief verankert ist. Völlig übersehen haben wir, dass Schumpeter bereits 1942 nach seinen Ausführungen zum „Process of Creative Destruction“ auf den Seiten 81 bis 86 viel später auf Seite 162 bemerkt: „Destruction may not be the right word, perhaps I should have spoken of transformation“.
Doch zurück zum Transformierer Dr. Michael Otto. Seit Anfang der 1980er Jahre erkundet er gemeinsam mit dem IT-Vorstand vor Ort in Silicon Valley die neuesten Entwicklungen, schaut sich Unternehmen an, um zu lernen. Im Ende der 1980er Jahre in den USA gestarteten interaktiven TV sieht er die große Chance für den Versandhandel.
Bereits Mitte der 1990er Jahre erkennt Michael Otto das Potential des Online-Handels. Damals hatten in Deutschland nur 250.000 Menschen Zugang zum Internet. Doch die Entwicklung explodierte. Gegenwärtig hat sie neue Geschwindigkeit aufgenommen; bei Otto spricht man vom Kultur-Wandel 4.0. Und die Otto Group zählt nicht nur zu den Pionieren des Online-Handels, sie wurde zu einem der weltweit erfolgreichsten E-Commerce-Unternehmen.
-> Die erste große Transformation.
Schon vor 2000 befasste sich Dr. Otto mit der digitalen Welt, der Digitalisierung im Unternehmen. Der Erfolg blieb nicht aus: Die Otto Group hat als weltweit einziger der früheren Katalog-Versender den Sprung von der Katalog-Ära in das digitale Zeitalter geschafft.
Als letztes Zeichen der gelungenen Transformation wurde nach 68 Jahren im Dezember 2018 zum letzten Mal der große Otto-Hauptkatalog versandt. „Unsere Kunden haben den Katalog sukzessive selbst abgeschafft, weil sie ihn immer weniger nutzen und schon längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen“ – heißt es bei Otto.
-> Schlusspunkt der zweiten großen Transformation.
2016 wurde Michael Otto anlässlich der Digital Champions Awards mit dem Sonderpreis „Digitalisierungsmacher“ ausgezeichnet.
Warten wir gespannt darauf, welche Transformationen uns die Otto Group noch bietet. Denn: Transformation – dieser gewollte Prozess des Wandelns, der Erneuerung, des Trennens von Bewährtem – ist für ein Unternehmen nie zu Ende.
Die von mir für Michael Otto ausgemachte zweite Facette „Der Transformierer“ wäre unvollständig, wenn wir bei all der Transformation nicht auch Tradition + Kontinuität einbringen würden.
Michael Otto sieht sich selbst als „Pionier in einem traditionellen Unternehmen“. Für ihn sind Innovation + Tradition zwei Seiten der gleichen Medaille.
Was ich heute leicht ändern möchte in: Transformation + Tradition.
Die Wahrung von Tradition, die bewusste Pflege der Kontinuität ist für Marken ein wesentliches Element. Nur auf dieser Basis kann Vertrauen zwischen Marken und Menschen entstehen und dauerhaft bestehen. Dazu gleich mehr. Hier nur zwei Beispiele für gelebte Otto-Kontinuität:
Ganz privat :
Seit 1968 ist Michael Otto mit der Malerin Christl von Klier verheiratet, kennengelernt haben sie sich in München beim Studium.
Und zur Marke:
Otto-Slogans sind Langfrister:
- Legendär der Ohrwurm „Otto Versand – Hamburg“
- 26 Jahre „Otto … find ich gut“: 1986 bis 2012
- Die neue Zeit ab 2013: „Gefunden auf Otto.de“.
(3) Michael Otto, der Markenpfleger
Georg C. Domizlaff, bis 2003 im Vorstand von British American Tobacco (BAT) in London für das gesamte Marken-Europa-Geschäft verantwortlich, mailt mir vor wenigen Tagen:
»Am 20. März befinde ich mich im schönen Südafrika. Daher bedaure ich es sehr, an der Würdigung von Herrn Dr. Otto nicht teilnehmen zu können. Ich kenne ihn ja schon lange und bewundere ihn sehr. Wenn es eine herausragende Unternehmer-Persönlichkeit gibt, deren Lebensleistung durchgehend markentechnische Exzellenz widerspiegelt, dann ist dies Dr. Otto, der als Händler „Marke" mehr verinnerlicht hat als manche seiner Unternehmer-Kollegen aus der Konsumgüterindustrie. In Zeiten, in denen die Konfrontation von Handel und Herstellern zuzunehmen scheint, hätte die G·E·M kein besseres Ausrufezeichen setzen können, als Deutschlands profiliertesten Händler mit dem G·E·M Award 2019 zu ehren.«
Was soll, was kann ich dem noch hinzufügen, um Michael Otto als Markenpfleger zu würdigen. Georg C. Domizlaff hat es auf den Punkt gebracht. Auf seinen Vater, Hans Domizlaff, komme ich gleich noch zurück.
In seiner Zeit als Vorstands-Vorsitzender von 1981 bis zu seinem Wechsel in den Aufsichtsrat im Jahre 2007 entwickelte Dr. Michael Otto den einstigen „Otto Versand Hamburg“ konsequent zu einer weltweit agierenden Handels- und Dienstleistungsgruppe mit rund 51.800 Mitarbeitenden. Heute ist die „Otto Group“ mit 123 wesentlichen Unternehmen in mehr als 30 Ländern Europas, Nordamerikas und Asiens in den Segmenten Multichannel-Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und Service aktiv.
Zu den 123 wesentlichen Unternehmen gehören:
1. die Kernmarke OTTO
2. der Markenkosmos – wie man das bei der Otto Group nennt.
Zu diesem Markenkosmos gehören u.a.
- WITT Weiden (60 plus)
- SportScheck
- Bonprix
- Manufactum (Das Warenhaus für hochwertige & außergewöhnliche Produkte, die gut funktionieren, lange halten und sich reparieren lassen)
- MyToys-Gruppe (Alles für das Kind)
- Baur, Schwab und Heine
- ABOUT YOU (Frauen und Männer zwischen 20 und 49; wesentliches Merkmal die enge Zusammenarbeit mit Influencern).
Dahinter verbirgt sich eine saubere Trennung, eine markentechnisch brillante Entscheidung. „Jedem Kunde seine Marke“, heißt es bei der Otto Group. Und: Der Schwab-Kunde will auch bei Schwab kaufen. Das Markenbild von otto.de passt nicht zu SportScheck oder Bonprix.
Deshalb pflegt Otto seinen Markenkosmos mit der stark differenzierenden Mehr-Marken-Strategie.
Damit gelingt es der Otto Group, Bestandskunden zu halten und verstärkt junge Kunden zu gewinnen und an sich zu binden.
Denn: Marken sind Beziehungen – keine markierten Objekte. Und diese Beziehungen brauchen Pflege. Daher habe ich meine dritte Facette auch überschrieben mit: Michael Otto, der Markenpfleger.
Marken brauchen Pflege – in unseren Massenmärkten möglichst individuell. Weil das der zunehmende Wunsch der Menschen ist. Hier greift die differenzierende Multi-Marken-Strategie mit dem Otto Marken Kosmos:
„Jedem Kunde seine Marke“.
»Wichtig ist die Stiltrennung« schreibt Hans Domizlaff in seinem Buch „Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens. Ein Lehrbuch der Markentechnik“. »Hat er (der Markentechniker) diese (Stiltrennung) erreicht, dann handelt es sich in den Augen der Verbraucher sowieso um zwei verschiedene Unternehmungen.« Was er zu seinem 18. Grundgesetz der natürlichen Markenbildung macht:
»Eine Firma hat eine Marke. Zwei Marken sind zwei Firmen.«
Das hat Hans Domizlaff vor 80 Jahren formuliert, das wird von der Otto Group heute gelebt.
(4) Michael Otto, der Verantwortungsbewusste
Dr. Michael Otto ist überzeugter Familienunternehmer mit hohem Engagement und ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein für die Konsequenzen seines Tuns. – Das zeigt sich besonders in diesen drei Bereichen:
1. Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden
Beim 23. G·E·M Kamingespräch am 18. September 2018 mit Dr. Michael Otto als Ehrengast sagte er:
„Digitalisierung bedeutet flachere Hierarchien im Unternehmen und auch Verlust an Kontrolle. Der Vorgesetzte muss sein Team koordinieren, denn Digitalisierung fordert Teamarbeit. Dabei muss man erkennen, dass junge Mitarbeiter im digitalen Bereich ein größeres Wissen haben als ihre älteren Vorgesetzten. Es braucht permanente Veranstaltungen, um alle Mitarbeiter mitzunehmen. Wichtig ist, die Menschen, die durch Digitalisierung ihren angestammten Job verlieren, zu schulen bzw. anders einzusetzen.“
Ein besonders aktuelles Beispiel für Verantwortung für Mitarbeitende – sie bedeutet Dr. Otto sehr viel.
2. Verantwortung gegenüber dem Umfeld des Unternehmens
Ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein hat der 1968 gegründete Club of Rome und dessen 1972 veröffentlichter Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ bei Michael Otto ausgelöst. Er hat Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu Unternehmenszielen erklärt. Weil er der Überzeugung ist, dass man nicht nur erkennen, sondern auch handeln muss.
Das entspricht einem Gedanken von Ricardo Díez-Hochleitner, 1991 bis 2000 Präsident des Club of Rome:
„Ein Manager, der sein Geschäft nicht im Zusammenhang und in Verbindung mit der ihn umgebenden Gesellschaft aufbaut, ist ein Krämer und kein Business Leader.“
1993 hat Dr. Otto die „Michael Otto Stiftung für Umweltschutz“ ins Leben gerufen. Ziel der Stiftung ist, Umwelt und Natur für nachfolgende Generationen zu erhalten sowie Zeichen zu setzen und Motivation zu schaffen für weitere beispielhafte Initiativen.
2007 initiierte Michael Otto die „Stiftung 2° – Deutsche Unternehmer für Klimaschutz“, einen Zusammenschluss führender Repräsentanten der deutschen Wirtschaft, die ihre Verantwortung zur bestmöglichen Vermeidung des Klimawandels wahrnehmen wollen.
Der zukunftsorientierte Unternehmer Michael Otto hat schon immer über den eigenen Tellerrand hinausgedacht und hinausgeschaut: „Unternehmer dürfen meiner Ansicht nach nicht nur an ihre Freiheit denken, sondern müssen sich auch ihrer Verantwortung für die Gesellschaft und für die Umwelt bewusst sein“, sagt er. Was wir heute Corporate Social Responsibility nennen.
Und ergänzt an anderer Stelle: „Mir ist sehr wichtig, durch mein persönliches Engagement essenzielle soziale, gesellschafts- und umweltpolitische Vorhaben anzustoßen und voranzubringen.“

Sein Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, zeigt sich zum einen in der Vielzahl seiner Ehrenämter: Von 1986 bis 2007 Vize-Präses der Handelskammer Hamburg; seit 1983 Vorsitzender des Kuratoriums der Gesellschaft für Politik und Wirtschaft e. V. in Hamburg (Haus Rissen); Stellvertretender Vorstandsvorsitzender im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI; Vorsitzender des Kuratoriums der Michael Otto Stiftung für Umweltschutz; Vorsitzender des Kuratoriums der Werner Otto Stiftung für medizinische Forschung; Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates der Umweltstiftung WWF Deutschland; Ehrenmitglied des World Future Councils.
Dieser Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, zeigt sich zum anderen im stillen Mäzenatentum von Dr. Michael Otto: Förderung der musikalischen Bildung von Kindern und Jugendlichen, Förderung des Baus der Elbphilharmonie und des Baus der UKE-Kinderklinik, Unterstützung des Weltzukunftsrates in Hamburg, der Hamburger Staatsoper, des Museums für Hamburgische Geschichte und der Kunsthalle Hamburg.
3. Verantwortung für das Unternehmen
Von 1981 bis 2007 als Vorsitzender des Vorstandes und seitdem als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Otto Group verfolgt Dr. Michael Otto ein integratives strategisches Konzept, das soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange in ausgewogener Form berücksichtigt. Als Zukunftsorientierter, als Transformierer, als Markenpfleger, als Verantwortungsbewusster für Mitarbeiter und Umwelt lebt er Verantwortung für das Unternehmen.
Um die Zukunft des internationalen Handels- und Dienstleistungskonzerns als Familienunternehmen für weitere Generationen zu sichern, hat Dr. Michael Otto als Mehrheitsgesellschafter und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Otto Group im März 2014 die Michael Otto Stiftung, eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts, gegründet und in diese seine Gesellschafteranteile an der Otto (GmbH & Co KG) eingebracht.
Damit soll sichergestellt werden, dass die Familie langfristig den Einfluss über den Otto-Konzern behält und die Mehrheit am Unternehmen nicht an fremde Investoren veräußert wird. In der Satzung ist ausdrücklich festgelegt, dass der Konzernsitz dauerhaft in Hamburg bleibt. In Hamburg, so Dr. Michael Otto, sei das Unternehmen von seinem Vater gegründet worden und die Stadt habe sich immer fair gegenüber dem Konzern verhalten. Und wieder: „Man muss auch einmal etwas zurückgeben."
(5) Michael Otto, der Hanseat
In Hamburg machen wir ganz feine Unterschiede:
Ein gebürtiger Hamburger muss in Hamburg geboren sein.
Ein geborener Hamburger ist, wenn die Eltern gebürtige Hamburger sind und er natürlich in Hamburg geboren wurde.
Ein waschechter Hamburger ist, wer in dritter Generation in Hamburg geboren ist.
Und dann gibt es die Hanseaten. In früheren Zeiten waren diese nur in
den drei Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck zuhause. In Hamburg
kam dann eine Zeit, wo Hanseat für Understatement und stolze Vornehmheit stand. Hanseaten verkehren in ihren exklusiven Zirkeln, bekommen jedes Jahr eine Einladung zum Matthiae-Mahl (erstmals 1356) ins Hamburger Rathaus.
Bei den hanseatischen Kaufleuten gilt der Handschlag.
Ehrbarkeit ist angesagt.
Heute zählt zu den herausragenden hanseatischen Tugenden Understatement, Zurückhaltung, Werteorientierung und insbesondere das Engagement für die Belange der Stadt, der Freien und Hansestadt Hamburg.
»Michael Otto ist ein „zugezogener“ Hanseat und gilt doch als Inbegriff hanseatischer Zurückhaltung« – hieß es in der WELT zu seinem 70. Geburtstag. Und zugezogene Hanseaten setzen sich für Hamburg und das Hamburgische häufig mit noch größerem Engagement ein als „nur“ gebürtige oder geborene Hamburger.
Dr. Michael Otto ist der lebende Beweis für einen echten Hanseaten, obwohl nur „zugezogen“. Understatement, Zurückhaltung, Werteorientierung und Engagement für Hamburg sind sein Lebenselexier.
Bei dem schon erwähnten G·E·M Kamingespräch sagte Dr. Michael Otto: Es wird immer wieder beklagt, dass Werte heute verloren gehen. Für die Vermittlung von Werten sei deren Vorleben wichtig. Zum Beispiel für Kinder in spielerischer Form, in der Schule und zuhause. Die Förderung der Bildung junger Menschen liegt Michael Otto besonders am Herzen. Bei seinen Projekten geht es ihm immer wieder darum, Zugang zu den Werten der Gesellschaft zu schaffen.
Und wenn ich über sein Engagement für Hamburg berichten wollte, es würde Stunden dauern. Nicht ohne Grund hat ihn seine Stadt Hamburg zum Ehrenbürger der Hansestadt ernannt und ihm zu seinem 75. Geburtstag für seinen „hohen persönlichen Einsatz und das außergewöhnliche Engagement für Hamburg“ den Ehrentitel „Professor“ verliehen.
Bleiben Understatement und Zurückhaltung. Es sind Markenzeichen von Dr. Michael Otto. Beides wird ihm in zahllosen Veröffentlichungen attestiert. Und so habe auch ich ihn in unseren persönlichen Begegnungen erlebt.
Dr. Michael Otto spricht darüber selbst nicht, zitiert lieber seinen Vater Werner Otto: „Bescheiden bin ich gar nicht. Aber ich mache eben nicht so einen Rummel wie die anderen“.
Und bei der Umbenennung der Wandsbeker Straße in Werner-Otto-Straße am 4. September 2014 sagt Michael Otto: “Mein Vater war ein zurückhaltender und bescheidener Mann, der wenig Aufhebens um seine eigene Person machte“.
Lieber Herr Dr. Otto: Sie können Ihre Herkunft nicht verleugnen. Sie haben es ererbt von Ihrem Vater (frei nach Goethes Faust).
Understatement, Zurückhaltung, Werteorientierung und Engagement für die Umwelt – diese hanseatischen Tugenden sind in Ihrem Denken und Handeln fest verankert.
Sind das nicht auch die Tugenden, die ein jeder Markenpfleger haben sollte?
Sind damit vielleicht Hanseaten die besseren Markenpfleger?
Lieber Herr Dr. Otto:
Als echter Hanseat sind Sie der geborene Markenpfleger.
Die Begründung der Jury
Die Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens verleiht den »G·E·M Award« 2019 an Prof. Dr. Michael Otto in Würdigung
- seiner ausgeprägten unternehmerischen Zukunftsorientierung
- seines immerwährenden Einsatzes für die Kernmarke „Otto“
- seiner Initiativen für die digitale Transformation des Unternehmens, die alle Mitarbeiter mitnimmt
- seiner Überzeugung, dass man Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht nur erkennen, sondern auch danach handeln muss
- seines Mutes, Visionen in Richtung Online-Handel, eCommerce und eBranding zu haben und diese erfolgreich umzusetzen
- seiner Überzeugung, dass wir Werte für unser Handeln brauchen und diese durch Vorleben vermitteln
- seines politischen, sozialen und kulturellen Engagements für seine Heimat, die Freie und Hansestadt Hamburg.
Der „Stein des guten Glücks“
Diese Begründung der Jury ist in einer Urkunde verbrieft, die wir Ihnen, lieber Herr Dr. Otto, gleich überreichen werden. Zusammen mit einer Skulptur in Form von Goethes „Stein des guten Glücks“ aus italienischem Marmor, ein Unikat mit Zertifikat, 3 kg schwer.
„Stein des guten Glücks“ heißt das Denkmal, das Johann Wolfgang von Goethe zu Beginn des Jahres 1777 neben sein Gartenhaus in den Ilmwiesen zu Weimar als Geburtstagsgeschenk für seine Seelenfreundin Charlotte von Stein setzen ließ. Es ist aus rötlichem Sandstein, 1,63 m hoch. Goethe wählte für sein Denkmal eine symbolische Formensprache. Sie geht auf Sinnbilder der Renaissance zurück. Es handelt sich um eines der ersten nicht-figürlichen Denkmäler Deutschlands.
Der „Stein des guten Glücks“ ist eine Kugel auf einem mächtigen Kubus.
- Der Kubus oder Würfel symbolisiert das Statische, Gefestigte und Ruhende, Beständigkeit und Gelassenheit.
- Die darüber liegende Kugel drückt Bewegung, Kreativität und Dynamik aus.
Das Ganze stellt eine gelungene Verbindung dieser beiden Elemente dar:
Das Rollende auf dem Festen, das Wandelbare über dem Unabänderlichen.
Ist das nicht auch Sinnbild Ihrer Philosophie?
Die Kugel „Unruhe, Innovation und Transformation“
auf dem Kubus „Menschen, Vertrauen und Tradition“.
Lieber Herr Professor Otto:
Herzlichen Glückwunsch zum »G·E·M Award« 2019.
Dr. Michael Otto sagt Danke
Sehr geehrter Herr Lönneker, lieber Herr Disch, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Zuerst einmal möchte ich Ihnen, lieber Herr Disch, ganz, ganz herzlich danken für diese so persönliche, so freundliche Laudatio. Ich muss sagen, Sie haben ja unwahrscheinlich recherchiert, welche Details Sie im Laufe meines Lebens ausfindig gemacht und wie Sie darüber reflektiert haben. Dafür möchte ich mich ganz, ganz herzlich bedanken.
Ich möchte dann natürlich Ihnen, lieber Herr Lönneker, lieber Herr Disch und der gesamten Jury sehr herzlich danken für diese Auszeichnung, die für mich wirklich eine große Ehre ist, über die ich mich ganz besonders freue, denn das Thema Marke war für mich immer ein ganz wichtiges Thema.
Als ich zu uns in den Vorstand kam (1971), später dann den Vorstandsvorsitz übernommen habe (1981), war Otto ein Einzelunternehmen – und Otto war bereits eine Marke. Sie haben es mit dem Jingle ja schon erwähnt: Otto Versand Hamburg. Das war durchaus eine Marke mit Bekanntheitsgrad.
Mir ging es aber darum, aus dem Unternehmen eine Unternehmensgruppe zu entwickeln. Mit Unternehmen, mit denen wir verschiedene Zielgruppen ansprechen konnten. Junge Zielgruppen, ältere Zielgruppen, eher preisbewusste Kunden oder eher Kunden, die höhere Qualität suchen. Darüber hinaus auch die Gruppe zu internationalisieren, weil es mir wichtig war, eine höhere Stabilität in die Gruppe hineinzubringen. Wenn es bei einzelnen Unternehmen oder in einzelnen Ländern eine schwierige Entwicklung gibt, dann sind andere Unternehmen oder andere Länder umso besser dran, sodass man insgesamt doch einen sehr viel stärkeren Ausgleich hat – und damit eine Stabilisierung. Leider habe ich es noch nicht erlebt, dass alle Unternehmen immer super liefen, aber Gott sei Dank auch noch nie erlebt, dass alle Unternehmen schlecht liefen.
Mir war es immer wichtig, dass jedes einzelne Unternehmen handeln muss, um auf die eigene Marke einzuzahlen. Denn jedes Unternehmen muss für seine Kunden, auch für seine Mitarbeiter, eine Marke sein, mit der sich Kunden und Mitarbeiter identifizieren können. Alles, was sie an Maßnahmen durchführten, musste sich auf ihre Marke einzahlen.
Und mir war es deswegen auch immer wichtig, dass jedes Unternehmen seine eigene Heritage betont, als Gründungsunternehmen. Das gilt auch für Unternehmen, die ich übernommen habe. Natürlich haben wir auch eine ganze Reihe Unternehmen selbst gegründet, aufgebaut. Aber Unternehmen, die ich übernommen habe, da war es mir immer wichtig, dass der Gründer nach wie vor eine Rolle spielt. Ob es jetzt bei Baur Friedrich Baur war als Gründer oder Josef Witt bei Witt oder Heinrich Heine bei Heine. Ich fand es immer wichtig, dass die Gründer hochgehalten werden und dass das Unternehmen sich mit dem Gründer auch identifiziert.
Das ist Marke und Markenstrategie, mit der sich die Mitarbeiter identifizieren können. Und das ist Voraussetzung, damit diese wiederum mit voller Begeisterung ihre Kunden ansprechen können – mit ihrer Marke. Mir war es immer ganz wichtig, dass da nicht steht „ein Unternehmen der Otto Group“. Das sollte überhaupt nicht bekannt werden. Denn die Kunden sollen sich mit ihrem Unternehmen identifizieren; der Hinweis auf die Otto Group könnte da auch kontraproduktiv sein. Wenn bei Manufactum ein sehr hochwertiges Produkt angesprochen wird, dann kann der Name Otto oder Otto Gruppe, mit dem wir sehr breit die Konsumenten ansprechen, eher hinderlich sein. Oder noch stärker bei unserem französischen Unternehmen: wenn da bekannt wird, dass ein deutsches Unternehmen dahintersteht, dann wird das gar nicht so gerne gesehen.

Mir war es immer wichtig, dass das Unternehmen einzeln mit seinem Namen, mit seiner Marke im Vordergrund steht, aber natürlich die Synergien der Gruppe nutzen konnte. Entscheidend war immer – und da würde ich auch gerne Hans Domizlaff zitieren, den Sie, lieber Herr Disch, auch schon erwähnt haben, der gesagt hat: „Das Wichtigste für eine Marke ist Vertrauen“. Vertrauen gegenüber dem Kunden aufzubauen, das braucht Zeit. Umgekehrt ist Vertrauen auch schnell verspielt, wenn man mit unseriösen oder falschen Maßnahmen arbeitet. Ich habe immer gesagt: ein Unternehmen kann mal in Schwierigkeiten kommen, auch Verluste machen, das können wir verkraften. Das Schlimmste aber ist, wenn Vertrauen beschädigt wird. Denn das kann nachhaltig zum Untergang des Unternehmens führen. Also: Vertrauen, ganz wichtig. Das gilt für jedes Einzelunternehmen, gilt für jede Marke. Basis, Kern jeder Marke ist das Vertrauen, das der Kunde haben muss.
Nun haben wir natürlich aber trotzdem in der Otto Group eine gemeinsame Verbindung, die die gesamte Gruppe zusammenhält und die letzten Endes auch von allen Unternehmen eingehalten werden muss. So sehr die einzelnen Unternehmen ihre eigene Zielgruppe, ihre eigene Marke fördern – es gibt eine Gesamtstrategie, die von der Gesamtgruppe und damit von allen Einzelunternehmen der Gruppe eingehalten werden muss.
Das ist zum einen die Digitalisierung. Alle Unternehmen müssen sich digitalisieren, denn das ist die Zukunftsentwicklung. Und zum zweiten, dass auch Werte beibehalten werden. Das heißt, dass nicht Werte an der Garderobe der Digitalisierung abgegeben werden. Werte sind ganz, ganz wichtiger Bestandteil der Unternehmensgruppe. Das gilt auch für jedes einzelne Unternehmen. Lassen Sie mich zu beiden Themen in aller Kürze etwas sagen.
Eine erste Klammer, die für den gesamten Konzern gilt, ist die Digitalisierung
Wir waren 1995 schon mit unserem gesamten Otto-Sortiment online: E-Commerce für unsere Kunden. Allerdings waren es nur ein paar Tausende, die überhaupt Zugang hatten in Deutschland, in der Bundesrepublik insgesamt etwa 250.000. Aber ich sah hier die Zukunft für den Distanzhandel. Unsere Aufgabe war eine doppelte: Auf der einen Seite unsere Katalogkunden nicht zu verärgern, sondern diese zu pflegen, beizubehalten. Auf der anderen Seite Neukunden oder auch bestehende Kunden, die online bestellen wollten, sukzessive aufzubauen.
Da wir sehr früh waren, hatten wir die Zeit, unser Unternehmen in ein digitales Unternehmen umzuwandeln, vor allem unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in das Zeitalter der Digitalisierung hineinzuführen, denn das beginnt im Kopf. Man darf nicht glauben, dass man ein Unternehmen in ein, zwei Jahren zum digitalen Unternehmen entwickeln kann. Das funktioniert nicht. Was leider manche Konkurrenten dachten, doch die sind alle vom Markt verschwunden. Ein traditionelles Unternehmen in ein digitales Unternehmen umzuwandeln, das braucht zehn, fünfzehn Jahre. Und diese Zeit haben wir Gott sei Dank gehabt, weil wir eben sehr früh angefangen haben. Schrittweise konnten wir uns sowohl von Seiten der Mitarbeiterschaft als auch von Seiten der Kunden zu einem digitalen Unternehmen entwickeln.
Dennoch haben wir vor einigen Jahren noch ein zusätzliches Programm aufgesetzt, auch das haben Sie, Herr Disch, erwähnt: Kulturwandel 4.0. Das hielten wir für notwendig, weil die Digitalisierung in einem atemberaubenden Tempo immer schneller geworden ist. Für uns hieß das: es reicht nicht, dass wir nun schon im E-Commerce sehr stark waren, wir mussten auch schauen, dass wir ganz vorne bei den technischen Innovationen eine Rolle spielen.
Auch das ist ein Thema, was erst mal in den Köpfen anfängt. Vor allem entsteht eine ganz andere Form der Zusammenarbeit. Hier arbeiten die Teams zusammen. Vorgesetzte müssen eher als Coach wirken, um das Team zu führen, zu koordinieren, Ziele zu setzen, aber dann auch dem Team die Freiheit zu geben, die Ziele selbst zu erreichen. Da kommt natürlich viel mehr Verantwortung auf das Team zu. Aber die finden zusammen. Und es gibt ja die verschiedensten Arbeitsmethoden, die dazu führen, dass sie auch sehr schnell gemeinsam definieren, wie sie das Ziel erreichen wollen, sich auch täglich abstimmen. Doch das bedeutet für die Führungskräfte, Verantwortung abzugeben und Kontrolle abzugeben. Und das ist nicht trivial. Wer sein Leben lang alles unter Kontrolle hatte und vorgegeben hatte, der soll plötzlich sagen: „Die werden es schon machen. Ich muss nur den Rahmen festlegen, ich muss sie unterstützen, dann werden sie die beste Lösung erarbeiten“. Das ist ein gewaltiger Umdenkungsprozess, den wir mit vielen Veranstaltungen seit Jahren in den unterschiedlichsten Formaten voranbringen.
Das wird auch ein permanenter Prozess bleiben, weil das Tempo weitergeht und sehr viel schneller wird. Dafür ist ganz, ganz wichtig: eine neue Offenheit, eine neue Transparenz. Man kann heute nicht mehr schauen, dass man so gut plant und so gut absichert, dass man mit 90 Prozent Sicherheit herangeht, um ein Thema umzusetzen. Dann ist die Konkurrenz schon lange an einem vorbeigezogen. 80 Prozent müssen genügen. Nur dann bekommt man überhaupt die Geschwindigkeit, die Agilität, die notwendig ist.
Das bedeutet aber auch eine andere Fehlertoleranz. Man muss bereit sein, einfach mal anzufangen, auch Fehler zu machen. Aber schnell korrigieren. Nur dann bekommt man Agilität. Diese Fehleroffenheit, die bedeutet auch ein gewaltiges Umdenken. Früher war alles darauf gerichtet, bloß keine Fehler zu machen. Doch das Schlimmste ist eine Fehlerverhinderungskultur. Dann ist man überhaupt nicht mehr innovativ, dann wird man überhaupt keine neuen Entwicklungen mehr bringen.
Deswegen ist auch hier eine Umstellung ganz wichtig, um Schnelligkeit zu entwickeln. Man muss neue Themen immer wieder testen, auch mal verwerfen. Natürlich setzt man auch irgendwelche Investitionen in den Sand, das ist nun mal das Risiko. Aber umgekehrt ist man bei anderen Themen wieder vorne. So arbeiten wir an der Entwicklung des Themas „Voice“: Kommunikation durch Spracheingaben. Ob es nun Alexa von Amazon ist oder der Google Assistant, mit dem wir ein sehr enges Kooperationsabkommen haben. Voice ist das große Zukunftsthema.
Ein weiteres, sehr wichtiges Thema ist Augmented Reality, erweiterte Realität. Wir bieten heute bei Otto eine Möbel-App an. Wenn man mit seinem Handy seine Wohnung anschaut und sagt, ich möchte einen Sessel, einen Stuhl oder einen Tisch haben, dann kann man eine App von uns dazuschalten und die Möbel, die sofort in der gleichen Proportion eingespielt werden, reinstellen und sehen, ob die von der Größe, von der Farbe, vom Stil passen. Und wenn man dann den richtigen Artikel gefunden hat, drückt man auf einen Knopf und löst die Bestellung aus. Das sind die Entwicklungen.
Und hier ist es ganz wichtig, vorne mitzuspielen. Aber dazu braucht man wiederum eine entsprechende Kultur im Unternehmen. Es braucht auch eine digitale Kultur, um überhaupt die „digital natives“ ins Unternehmen zu bekommen, dazu benötigt man auch ganz andere Bürolandschaften.
Beim Grad der Digitalisierung sind wir natürlich sehr unterschiedlich in den einzelnen Unternehmen. Bei Otto als Einzelunternehmen machen wir heute 97 Prozent unseres Umsatzes online. Der Katalog-Umsatz ist nur 3 Prozent. Der Katalog ist im Grunde nur ein Marketing-Tool, um zum online hinzuführen. Unser dicker Hauptkatalog ist jetzt letztmalig erschienen, weil er zu teuer ist, um nur Anstöße zu geben. Wir setzen auf schlankere, kleinere Kataloge, die aktuelle Mode monatlich bringen oder für die neuen technischen Entwicklungen den Anstoß geben. Das sind sehr viel sinnvollere Anstöße.
Nicht zu vergessen: Wir haben natürlich auch stationäre Unternehmen. Hier ist es ganz wichtig, dass auch die integriert sind mit dem Online-Business. Das heißt nicht zwei Kanäle, die parallel laufen, sondern die müssen voll integriert sein. Bei Sportscheck haben wir eine IT entwickelt, die online und Store verbindet: Wenn der Kunde online sich beispielsweise eine Outdoor-Jacke anschaut und sagt „Gefällt mir eigentlich, aber würde ich gerne noch mal anprobieren“, dann kann er sofort erfahren, wo der nächste Store ist, kann den Artikel in seiner Größe reservieren lassen und dann dort hingehen und anprobieren. Oder umgekehrt: Wenn der Kunde in einem Store ist und sagt „Die Outdoor-Jacke gefällt mir, aber die Farbe nicht“, dann haben die Verkäuferinnen und Verkäufer iPads, wo sie sofort nachschauen können, ob es noch andere Farben gibt. Und der Kunde kann eine andere Farbe bestellen, die er am nächsten Tag entweder im Store abholen kann oder sie wird ihm nach Hause geschickt.
Das ist die Integration. Da sehe ich überhaupt die Zukunft. Stationär und online, das ist eine noch viel stärkere Möglichkeit als pure online oder pure stationär. Bei uns haben wir Unternehmen, die rein als online-Unternehmen angefangen haben, so myToys, die heute 18 stationäre Läden haben. Wir haben erfahren, dass gerade in dieser Verknüpfung die großen Stärken liegen. Und wenn immer wir einen neuen Store eröffnen, dann stellen wir fest, dass der Online-Umsatz in der Region sofort nach oben geht. Das heißt also: hier unterstützt es sich wirklich gegenseitig. Das sehen wir auch bei Crate & Barrel in den USA, das im Grunde ursprünglich nur ein stationäres Unternehmen im Bereich Home (Haushaltsartikel, Möbel) war. Inzwischen sind die integrierten Online-Angebote genau das, was die Stärke ausmacht.
Die zweite Klammer, die auch für die gesamte Unternehmensgruppe gilt, ist das Thema Werte
Hier geht es uns vorerst einmal um das Thema Umwelt, und hier haben wir auch eine ganz klare Zielsetzung. So wollen wir bis zum Jahr 2020 unseren CO2-Ausstoß gegenüber 2006 um 50 Prozent reduzieren; dabei sind bei uns vor allem die Transporte das Entscheidende. Im Distanzhandel geht es um Transporte, sowohl die Eingangstransporte von den Importen als auch die Zustellung für die Kunden weltweit. Und wir sind auf einem guten Weg zum selbstgesetzten Ziel.
Bei unseren Textilangeboten aus Baumwolle verfolgen wir das Ziel, bis zum Jahr 2020 nur noch mit nachhaltiger Baumwolle zu arbeiten. Wir sind im Augenblick bei 75, 80 Prozent unserer Sortimente, wo wir zertifizierte nachhaltige Baumwolle einsetzen; bis 2020 werden wir unsere eigene Vorgabe schaffen. Gleiches gilt für den gesamten Möbelbereich; dort werden wir nur noch FSC-zertifizierte Möbel anbieten, bei denen Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft eingesetzt wird. Unser Ziel: bis 2020 einhundert Prozent.
Diese Ziele haben wir für die gesamte Gruppe vorgegeben, alle arbeiten daran. Dabei ist jedes Unternehmen natürlich auch frei für eigene Aktivitäten. Und das Schöne ist, dass aus der Mitarbeiterschaft viele Ideen kommen, was die einzelnen Unternehmen machen können. Das ist uns sehr wichtig. Es entsteht eine Eigendynamik.
In diesem Zusammenhang nenne ich gern als Beispiele, dass Crate & Barrel in USA große Aufforstungsprojekte in verschiedenen Ländern fördert oder Bon Prix, die in Vietnam eine Färberei mitfinanzieren und aufbauen, die nach einem holländischen Patent ohne Wasser färben. Das wird die erste Färberei mit dieser Technik weltweit sein.
Wo Färbereien Wasser in die Flüsse leiten, entsteht ein Riesen-Umweltproblem, denn häufig wird verschmutztes Färbewasser ungeklärt in die Flüsse geleitet. Ich habe selbst gesehen, dass dann plötzlich Flüsse grün sind oder rot. Das Mindeste wäre, dass die Färbereien ihre Abwässer recyceln, klären und so weiter. Doch der nächste Schritt ist eben färben ohne Wasser. Und das sind dann Initiativen der Einzelunternehmen.
Ganz wichtig ist uns das Thema Sozialstandards, in der gesamten Produktionskette. Das ist ein sehr umfangreiches Thema. Wir haben in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre damit begonnen, dass wir einerseits Vorgaben für unsere Lieferanten machen, nach welchen Sozialstandards wir sie prüfen werden. Und das machen wir mit eigenen Social Officers, wie wir sie nennen, aber auch mit unabhängigen Auditierungsgesellschaften. Wobei wir allerdings nicht erwarten, dass sofort alle Kriterien erfüllt werden. Deshalb unterstützen wir die Unternehmen dabei, dass sie die Kriterien erfüllen können; aber nach dem zweiten Re-Audit müssen sie erfüllt haben, ansonsten sperren wir diese Unternehmen.
Allerdings habe ich feststellen müssen: wirklich durchsetzen konnten wir es eigentlich nur bei unseren Stammlieferanten, bei denen wir einfach große Bedeutung haben, weil wir bei denen 40 Prozent, 45 Prozent Kapazität gebucht hatten. Aber bei den vielen Lieferanten, bei denen wir vielleicht 3 Prozent oder 5 Prozent Kapazität haben, bestand kein Interesse.
Das führte dazu, dass ich Ende der 90er Jahre die Vorstandsvorsitzenden aller großen deutschen Einzelhandelsunternehmen eingeladen und ihnen unser Programm gezeigt habe, was wir als Sozialstandards vorgeben. Und ich habe gesagt: Ich bin der Meinung, wir können überall konkurrieren, aber wir sollten es nicht zulasten von Sozialstandards und Umweltstandards machen. Last uns doch gemeinsam einem Standard folgen. Das haben wir dann auch gemacht. Die meisten Unternehmen waren bereit, nicht alle, aber die meisten. Und wir haben den sogenannten BSCI-Standard entwickelt. Diese Business Social Compliance Initiative (BSCI) will die Verbesserung der sozialen Standards in der weltweiten Wertschöpfungskette. Inzwischen sind wir über 2.000 Unternehmen in Europa, Einzelhandelsunternehmen und Markenproduzenten, die mit diesem Standard arbeiten. Damit haben wir einen Durchsatz. Große Unternehmen in Südostasien, in Südamerika, die mit Europa Handel treiben wollen, kommen an diesem Standard nicht vorbei. Natürlich gibt es immer noch Sweatshops, die dann irgendwo auch noch ihre Kunden finden. Aber die Wesentlichen machen mit. Das heißt: man muss sich auch mit anderen verbünden, um wichtige Ziele zu erreichen.
Generell werden diese Werte für die gesamte Gruppe vorgegeben, so individuell sonst jedes Einzelunternehmen agieren kann. Die Wertevorgaben bieten aber auch Chancen zur Nutzung von Synergien.
Das waren einige Gedanken zur Digitalisierung und zu den Werten, mit denen wir uns in der Otto Group intensiv beschäftigen. – Zum guten Schluss:
Ich möchte mich noch einmal ganz, ganz herzlich bedanken für diese großartige Auszeichnung. Sie ist wirklich für mich eine große Ehre und vor allem – das möchte ich ganz klar sagen – gebührt diese Auszeichnung besonders auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich tagtäglich engagieren und einsetzen, um genau diese Ziele zu erreichen. Die meisten von diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden wahrscheinlich niemals in ihrem Leben eine Auszeichnung erhalten. Deswegen ist es mir umso wichtiger, dass diese Auszeichnung auch ihnen gebührt.
Vielen Dank.
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Bericht: Wolfgang K.A. Disch, Hamburg
Fotos: Christian Kruppa, Berlin
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